Mandels Buero
Danny. Kennst du eine Adriana?«
Der Danny hatte die Augen geschlossen und machte sie jetzt wieder auf. Sein Handgelenk tat merkwürdige Dinge mit seiner Schläfe.
»Adriana? Was willste denn jetzt noch, Mandel? Soll ich dich verkuppeln? Wenn ich alle Weiber vom Leo im Kopf hätte, dann wär ich Schachweltmeister geworden. Bald hab ich vergessen, wie ich selber heiße, und dann soll ich mir irgendwelche Weiber merken? Ach, geh doch heim, Mandel, und lass mich in aller Ruhe zappeln wie ein Bekloppter.«
»Sorry«, sagte der Mandel und wollte gehen.
»Mandel«, sagte der Danny, und der Mandel drehte sich nochmal um.
»Hast du gewusst, dass der Bob Dylan den Guthrie damals im Krankenhaus besucht hat, als es dem schon ganz dreckig ging wegen dem Huntington?«
Der Mandel schüttelte den Kopf, obwohl er die Geschichte kannte.
»Danach hat der Dylan beschlossen, eigene Songs zu schreiben. Songs, die was bewegen. Aber subtil, nicht so wie der Leo.«
Noch in der Empfangshalle vom Krankenhaus rief der Mandel den Kai Bartels an und verabredete sich mit ihm für morgen zum Abendessen. Als der Mandel zurück zu seinem Auto kam, saß der Dieter bei offenem Fenster auf dem Beifahrersitz und rauchte einen Joint.
»Bist du noch bei Sinnen, Dietz?«, fragte der Mandel.
»Warum? Hier scheißt sich doch keiner was, hab ich gedacht.«
»Wir stehen vor dem größten Krankenhaus der Stadt, mitten im Regierungsbezirk, du Knallkopf.«
»Ist ja gut«, sagte der Dieter und löschte die Glut mit Spucke, Daumen und Zeigefinger.
»Du Anarchist«, sagte der Mandel und fuhr los.
Ich weiß nicht, wo der Mandel und sein Bruder danach hingefahren sind, aber ich weiß, dass in der Nacht etwas passiert ist, was den Mandel von der Beobachterrolle, die er bisher in seinem Leben meistens eingenommen hatte, mitten in ein Chaos hineinstürzte, das sich zusehends seiner Kontrolle entzog. Ich würde sogar so weit gehen, dass in dieser Nacht ein Sinneswandel im Mandel begonnen hat. Vielleicht ist an dem Abend etwas eingerissen, was den Mandel so hat werden lassen, wie er heute ist. Und rückblickend sind mir auch die Unterschiede aufgefallen. Natürlich war er von der Gewaltanwendung fürchterlich erschrocken, aber letztlich hat das einen Akklimatisierungsprozess ausgelöst, eher eine Art Verrohung, kann man sagen. Was dem Mandel an diesem Abend noch passierte, ist nichts Gutes gewesen, aber im Grunde war ich froh, dass sich die Ereignisse endlich überschlugen, weil wenn am Ende dieser Episode unserer Biografie eins stehen musste, dann die vollkommene Umwälzung der Verhältnisse. Ich kann ja nicht für den Mandel sprechen, aber ich wollte keinen Zentimeter mehr zurück in mein altes Leben. Dafür nahm ich auch die paar Verwüstungen in Kauf.
Der Mandel und sein Bruder waren an diesem Abend so gegen eins aus einer Bar zurückgekommen, und der Mandel war fix und fertig von dem langen Tag. Vor der Einfahrt zur Tiefgarage hielt er an und sagte: »Scheiße.«
»Was ist denn?«, fragte der Dieter.
»Ach, ich hab den Schlüssel für die Tiefgarage oben in der Wohnung.«
»Ach, egal, stell den Wagen halt auf die Straße«, schlug der Dieter vor.
»Nein«, sagte der Mandel.
»Wieso nicht?«, fragte der Dieter.
»Komm, scheiß drauf«, sagte er dann und fuhr rückwärts aus der Einfahrt raus und parkte gegenüber rückwärts-seitwärts in eine Parklücke ein. Der Mandel war ein alter Meister im Rückwärts-seitwärts-Einparken, das muss man ihm lassen.
Ein paar Stunden später lag der Mandel in seinem Bett und sah sich auf seinem überdimensionalen Fernseher Wiederholungen der Spiele aus dem englischen Liga-Cup an. Der Dieter schlief indessen auf der Wohnzimmercouch. Ungefähr um drei Uhr dröhnte ein ziemlicher Lärm von der Straße unten in das Schlafzimmer vom Mandel. Aston Villa hatte gerade das 1 : 0 gegen Manchester United erzielt. In einem Spiel, das sie noch 1 : 2 verlieren sollten. Die Sirenen durchbrachen ruckartig den erlösenden Dämmerzustand beim Mandel, den er nirgendwo so gut erreichen konnte wie bei der Wiederholung von Fußballspielen spätnachts. Als der Mandel das Fenster öffnete, kam auch der Dieter ins Schlafzimmer, in seiner Unterhose und einem Beyoncé-T-Shirt.
»Was ist denn da unten los?«, fragte der Dieter.
Der Mandel starrte zum Fenster hinaus und sagte nichts. Das Feuerwehrauto projizierte sein blaues, rotierendes Licht an die hohe Decke vom Schlafzimmer und erzeugte Muster wie ein Bildschirmschoner. Der Mandel
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