Mandels Buero
Art Idol, weil er zwar studierte, aber schon damals im überregionalen Musikressort der Mittelbayerischen tonangebend war, jetzt weiß ich wieder, was für eine Tageszeitung es war. Ich kannte damals ja keine anderen Journalisten. Der Mandel war der Einzige, der eine ganz eindeutige Meinung zu Musik hatte. Der genauso geschmäcklerisch wie ich war und in denselben Geschmäckern ausgebildet. Er war mir mehr als nur ebenbürtig, ich konnte von ihm lernen, auch weil er vier Jahre älter ist und deshalb in meinen Augen noch die halben Siebziger miterlebt haben musste. Und die Siebziger waren früher mein musikalisches Lieblingsjahrzehnt gewesen, muss man wissen.
Wir waren uns nicht nur an dem einen Abend einig, dass die klassischen Heavy-Metal-Gitarristen der Achtziger ein Segen für die Musikgeschichte gewesen sind, wir stimmten auch im Hardcore überein. Wir redeten darüber, wie kurios es war, dass Chris Poland sowohl bei Megadeth als auch bei den Circle Jerks gespielt hat. Außerdem war der Mandel der einzige Mensch auf der Welt, mit dem ich mich über die Produktionsmanierismen von Martin Birch bei den ersten sechs Iron-Maiden-Platten unterhalten konnte, weil dem Mandel Produktionen genauso wichtig waren wie mir.
Dazu kam, dass ich an der Uni aus der Ferne beobachtet hatte, wie locker und beliebt der Mandel bei den Schönheiten unserer Cafeteria war. Ich versprach mir eine Menge neuer Bekanntschaften von meiner Freundschaft zum Mandel. Ich war kein unbeschriebenes Blatt bei uns in der Cafeteria, aber irgendwie saß der Mandel immer mit genau den Weibern an einem Tisch, die sich vollkommen meinem Einzugsbereich entzogen. Ich denke da vor allem an diese rothaarige Juristin, Name vergessen. Aber mit der hatten wir am Ende beide nichts. Leider.
Aber der Mandel profitierte auch von mir. Weil er einen loyalen und ernsthaft interessierten Eleven in mir sah, weil er sich gerne als Mentor betrachtete. Und weil ich ihn ergänzte, weil erst im Kontrast zu mir seine Souveränität und Gelassenheit voll zur Geltung kamen. Ich redete meistens viel und riss einen Witz nach dem anderen, während der Mandel immer nur den nötigen Spruch zur richtigen Zeit von sich gab. Ich war derjenige, der bei Konzerten in München ganz vorne stand, während der Mandel sich das in aller Ruhe von der Bar aus anschaute, und ich sprang nachts betrunken in die Donau, nicht der Mandel. Der stand oben auf der Steinernen Brücke und zeigte mir einen Vogel, als ich unten wieder auftauchte. Ich war der Spinner und der Mandel der coole Hund. In diesem Verbund waren wir gesellschaftlich erfolgreicher als alleine, und sobald wir einmal eingespielt waren, half uns das enorm bei den Frauen weiter.
Allerdings dauerte es noch eine ganze Weile nach besagtem Abend im Ginsberg, bis der Mandel und ich uns regelmäßig trafen. Was natürlich am Mandel lag und dass er nie zurückrief. Ich glaube, der Mandel hat mich als Typ immer schon gut gefunden. Ich mit den langen Haaren und er mit seinem elitären Gehabe. Er immer schon der gestriegelte Dandy, ich der Jeans-Rebell.
Drei Jahre später haben wir die Oberpfalz zusammen verlassen und sind hier in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Ich weiß noch, dass der Mandel damals so begeistert von der Stadt gewesen ist. Dieses dauernde Aufbauen und wieder Einreißen von Konventionen – das hat er immer wieder betont –, das habe ihn so frisch und aufmerksam gemacht, da sei ihm aufgefallen, wie abgestumpft er schon geworden war in der alten Heimat. Ich stand zu dieser Zeit genau wie er unter Strom, dauernd draußen, immer in der Nacht und immer ein Bier in der Hand, aber der Mandel war noch eine Spur härter unterwegs. Der ließ sich nach der traumatischen Oberpfalz so in diese Stadt hineinfallen, der Mann kannte keine Wochentage mehr. Es waren auch seine ersten Monate als hauptberuflicher Musikjournalist, und er war auf jedem Konzert, auf jeder Veranstaltung und in jeder Diskothek. Der Mandel war im Gegensatz zu mir auch der elektronischen Musik immer viel aufgeschlossener gegenübergestanden. Vielleicht auch taktisch bedingt, weil in den elektronischen Kreisen einfach mehr Drogen und hübsche Frauen im Umlauf waren. So stoisch und konsequent man den Mandel heute aus dem Alltag kennt, so stoisch hat er sich damals die Pillen eingepflastert und dazu seinen Gin Tonic. Damals hat ihm noch der handelsübliche Gordon’s gereicht, da musste es noch kein Beefeater sein. Aber diese maßlose Kombination aus Pillen und Gordon’s,
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