Mandels Buero
sondern die Schlagzeugkiste vom Schredder. Der Tilmann sitzt aufrecht und blutüberströmt in der Kiste und winkt mir vom Mandel seinem Rücken aus zu.
»Der Leo muss da hoch«, sagt der Mandel, aber der Leo kippt auf die Straße, wo er liegen bleibt, immer noch winkend und mich anschauend, wie ein Kleinkind, wenn es sich wo festgeschaut hat.
»Wir müssen den Leo aufheben«, sagt der Mandel und bückt sich, die Schlagzeugkiste auf den Rücken geschnallt wie vorher den Rucksack.
»Nein, wir müssen jetzt ausweichen«, sage ich, kann aber keinen Schritt mehr gehen. Von oben, von der Dorfkirche herunter, kommt ein brennender Audi geschossen, aber ich bin gelähmt …
Ich langte neben mich, um mich zu vergewissern. Ich erwischte mit den Fingern den nackten Rücken von der Malleck und war erleichtert.
Fünfzehn
An dem Abend, an dem ich die Malleck noch getroffen hatte, saß der Mandel in einem griechischen Restaurant und wartete auf den Kai Bartels. Der Mandel war gerne beim Griechen, weil man ohne Erwartungshaltung zum Griechen geht. Weil das Essen einen nicht auf die Probe stellt mit außergewöhnlichen Kreationen und unerwarteten kulinarischen Schlenkern. Es gibt jeden Tag dasselbe, und zwar das ganze Jahr lang. Auch das Personal ändert sich nicht, weil Familienbetrieb. Zumindest nicht, seit der Mandel am Chamissoplatz wohnt. Kann sein, dass der Mandel schon damals eine Art Stammgast war und den einen oder anderen Ouzo aufs Haus hingestellt bekam, aber darum ging es dem Mandel überhaupt nicht. Er wollte seine Ruhe haben. Das Essen sollte ihn nicht beschäftigen, das Personal nicht mit Vorschlägen behelligen und die Umgebung ihn nicht ablenken. Es war ein Zen-Moment für den Mandel, einfach in der Ecke vor dem Aquarium zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren, bis sein Gyros-Teller mit Salat kam. Die völlige Entleerung des Daseins, verknüpft mit einem Abendessen, darum ging es dem Mandel, deshalb war er auch meistens alleine zum Griechen. Umso überraschender, dass er in seine Zen-Zone einen beruflichen Kontakt wie den Kai Bartels hineinbestellte.
»Sorry, ich bin zu spät«, sagte der Kai Bartels und setzte sich zum Mandel an den Tisch und verdeckte ihm die Sicht auf das Aquarium.
»Ach«, sagte der Mandel. »Zwei Minuten.«
»Wie geht’s?«, fragte der Kai Bartels.
»Gut geht’s«, sagte der Mandel.
»Und dir?«
»Auch gut, bis auf das mit dem Leo. Viel zu tun«, sagte der Kai Bartels.
»Aber sag, wie kann ich dir helfen, Max?«
Und der Mandel erzählte von dem Soloalbum und der bevorstehenden Auflösung von DEMO , wäre nicht der Tilmann quasi in letzter Minute noch ums Leben gekommen. Der Mandel erzählte so gut wie alles, weil die Räder auch schon zu sehr in Bewegung waren. Jetzt kam es ihm darauf an, wie der Kai Bartels reagierte. Der ließ den Bericht mit einer geradezu unheimlichen Gelassenheit über sich ergehen. Dann nahm er einen Schluck von seiner Spezi und eins von den gefüllten Weinblättern, die der Mandel quasi als Zugreif-Snack auf den Tisch hatte stellen lassen.
»Ich erzähl dir jetzt mal eine Geschichte über Leo. Und dann siehst du, warum selbst die Trennung der Band und ein Folk-Soloalbum mich nicht überraschen können. Ich weiß nicht, ob du Irina kennst. Das ist die jetzige Frau vom Schredder. Irina Martynow, so hieß sie früher. Jetzt Irina Schröder. Wir saßen damals gerade mit der Produktionsfirma zusammen, um das Videokonzept für ›Ewiges Leben‹ zu besprechen, und Leo wollte unbedingt eine Bonnie & Clyde-Handlung und natürlich selbst die Hauptrolle spielen. Das war auch nicht das Problem, wir waren es ja gewohnt, ihm den Platz an der Scheinwerfersonne zu überlassen. Allerdings benötigten wir für unseren kleinen Film noir – du kennst das Video ja – auch eine weibliche Darstellerin. Leo hat natürlich sofort irgendwas von einer bekannten deutschen Schauspielerin an seiner Seite gefaselt, aber der Schredder hat gesagt, lass uns doch mal Irina ausprobieren. Irina war zu der Zeit erst kurz mit dem Schredder verlobt, und sie war sein Ein und Alles. Die beiden hatten sich auf der Einweihungsparty von Dannys neuem Büro kennengelernt, als der seine Firma kurzzeitig auf Schauspielmanagement erweitern wollte. Der Schredder hat sich auf Anhieb verliebt, aber Irina hat sich geziert, ihn zu treffen. Der Danny hat sie förmlich zwingen müssen. Irgendwann hat sie nachgegeben. Jeder von uns wusste zwei Dinge: erstens, wie sehr der Schredder in Irina vernarrt war,
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