Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
und in dieses Avantgarde-Theater im East Village eingeladen. Sie haben eine leicht modernisierte Fassung eines Renaissance-Stücks aufgeführt.«
»Twill hat euch ins Theater eingeladen?«
»Ich glaube, er ist mit einer der Schauspielerinnen zusammen.«
»War Shelly auch mit?«
»Nein. Sie sagte, sie wollte sich mit jemandem treffen.«
Hinter der Geschichte steckte mehr, doch das würde ich von Mardi nicht erfahren.
»Und?«, fragte ich. »Was denkst du über D und Taty?«
Einen Moment lang blickte sie auf einen Punkt über meinem Kopf und überlegte.
»Sie liebt ihn«, erklärte Mardi schließlich. »Sie liebt ihn wirklich.«
»Du klingst überrascht. Immerhin sind sie schon eine Weile zusammen.«
»Am Anfang dachte ich, es wäre bloß bequem für sie. Verstehen Sie mich nicht falsch, sie hat ihn einfach benutzt, Tatyana hatte ein hartes Leben und nicht viel Vertrauen in Männer. Aber in den letzten Monaten hat sich bei ihr irgendwas verändert. Man sieht es daran, wie sie D anguckt.«
»Liebe«, sagte ich.
»Bei Ihnen hört es sich an wie ein Fluch.«
»Du weißt Bescheid über Tatyana, oder?«
»Sie hatte ein hartes Leben«, widersprach Mardi sanft.
»Sie hat aber auch ausgeteilt.«
»Sie kann nichts für das, was sie tun musste.«
Mardi hatte einst geplant, ihren Kinder schändenden Vater zu ermorden. Sie wusste genauso gut auszuteilen wie die weißrussische Freundin meines Sohnes.
»Das meine ich ja, M«, sagte ich. »Der Mensch, in den man sich verliebt, bringt ein ganzes Leben als Gepäck mit. In Tatyanas Fall gibt es zwischen den Nachthemden und der Zahnpasta alle möglichen scharfen Kanten.«
»Dimitri liebt sie.«
»Ja, das tut er.«
»Was kann man da machen?«
»Jede Menge Verbandszeug im Medizinschrank vorrätig halten und auf das Beste hoffen.«
Nachdem ich es mir im Büro hinter meinem überdimensionierten Ebenholzschreibtisch bequem gemacht hatte, rief ich die Auskunft an und fragte nach Harry Tangelos Nummer. Es gab keinen Eintrag. Im Schrank bewahrte ich Telefonbücher auf, die bis zu sechs Jahre zurückreichten. Tangelo fand sich in keinem von ihnen.
Viele Menschen entscheiden sich dafür, nicht im Telefonbuch zu stehen. Wenn ich wie Tangelo in einen versuchten Mord und den größten Raub der Geschichte der Wall Street verwickelt gewesen wäre, hätte ich mirvielleicht auch eine Geheimnummer besorgt. Vielleicht hätte ich sogar einen Freund gebeten, einen Anschluss auf seinen Namen anzumelden, um Reportern und Polizisten aus dem Weg zu gehen. Womöglich hatte Tangelo New York ganz verlassen.
Nachdem die üblichen Suchanfragen gescheitert waren, loggte ich mich in den von Bug Bateman speziell konfigurierten Computer mit der illegalen Software ein.
Bateman war laut eigener Einschätzung der beste Hacker der Welt, und ich hatte nie Grund, dieses Urteil anzuzweifeln. Ich hatte das Junggenie durch seinen Vater kennen gelernt. Unsere Beziehung hatte holperig begonnen, weil es ihm nicht passte, dass sein alter Herr ihm einen weiteren Grufti aufgedrückt hatte, der seine Dienste in Anspruch nahm. Aber nachdem ein paar Jahre verstrichen waren und er meiner externen (und hinreißenden) Assistentin Zephyra Ximenez begegnet war, baute Bug auf meine Hilfe, seine gut einhundert Pfund Körpergewicht in eine Form zu trimmen, die Z akzeptabel finden würde.
Ich loggte mich in die Personensuchmaschine ein, die Bug vom Außenministerium geklaut hatte. Er hatte das System so verfeinert, dass man damit praktisch jede Person überall auf der Welt finden konnte. Man gab möglichst viele Informationen ein – Alter, Geschlecht, sexuelle Vorlieben, ethnische Zugehörigkeit(en), Sprachen, nationale Herkunft, Größe … Es gab sogar Felder für die Eingabe von DNA -Codes, Fotos (zur Gesichtserkennung) und Fingerabdrücken. Ich fütterte das Programm mit allen Informationen, die ich hatte, und drückte die Enter-Taste.
Während ich wartete, rief ich einem Instinkt folgend noch einmal die Auskunft an und durchsuchte anschließend meine Telefonbücher nach Minnie Lesser – Zellas vermeintlich guter Freundin und Harrys Geliebter. Auch sie war nirgends zu finden.
Für den Zeitraum bis vor neun Jahren gab es jede Menge Informationen über Harry. Aber zehn Monate vor Zellas Verurteilung wurde seine Spur kalt. Er hatte als Schreiner, Anstreicher, Glasfaserkabelverleger, Koch, Spülkraft und Bürohilfe gearbeitet. Er war mehr oder weniger attraktiv, doch seine Augen gaben nichts her. Während ich die
Weitere Kostenlose Bücher