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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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eine leicht beschwipste Zella Grisham in ein Yellow Cab, bezahlte die Fahrt im Voraus und küsste sie sogar auf die Wange. So wie sie sich mir entgegenlehnte, hätte ich wahrscheinlich mit ihr einsteigen können. Aber ich gab mir alle Mühe, gegenüber meinen Klienten einen gewissen Anstand zu wahren.
    Auf der Straße überlegte ich, die U-Bahn Richtung Uptown zu nehmen. Beim Rattern unterirdischer Gleise konnte ich ziemlich gut nachdenken.
    »Leonid«, rief ein Mann.
    Ich stand unbewaffnet auf einer leeren Straße. Das hätte der Augenblick meines Todes sein können. Hätte. Wahrscheinlich würde es eines Tages so enden. Aber nicht in jener Nacht. Es war nicht mein Mörder, sondern Carson Kitteridge, jüngst zum Captain des NYPD befördert. Er bekleidete eine leitende Position, die es ihm erlaubte, überall dort zu arbeiten, wo er gebrauchtwurde. Carson war kleiner als ich, höchstens eins dreiundsechzig. Er war blass weiß, hatte noch weniger Haare als ich und trug einen hellen abgetragenen Anzug.
    »Kit«, sagte ich. »Ich dachte, man hätte dich nach deiner Beförderung versetzt.«
    Er schlenderte mit unergründlicher Miene neben mir her. Ich bin ein stämmiger Bursche, in Boxershorts wiege ich mehr als einhundertsechzig Pfund. Kit ist noch nicht mal ein Leichtgewicht, doch er strahlt genug Bedrohlichkeit aus, damit es sich die bösen Jungs zwei Mal überlegen. Viele Jahre lang war es sein oberstes Ziel gewesen, mich ins Gefängnis zu bringen, und es ist möglicherweise meine größte Errungenschaft, diese Ambition des brillanten Polizisten vereitelt zu haben.
    »Was haben Sie vor, LT ?«
    »Ich bin auf dem Heimweg. Das heißt, falls Sie nicht noch einen Drink nehmen wollen.«
    »Was haben Sie vor, LT ?«, fragte er noch einmal.
    »Warum sagen Sie es mir nicht?«
    »Was haben Sie mit Zella Grisham zu tun?«
    »Ich wurde engagiert, sie am Busbahnhof abzuholen. Sie mochte meine Hautfarbe und den Schnitt meines Anzugs und hat mich auf einen Drink eingeladen.«
    »Worüber hat sie geredet?«
    »Dies und das. Nichts Besonderes.«
    »Den Raub?«
    »Sie behauptet, sie war’s nicht. Ich glaube ihr.«
    »Sind Sie bewaffnet?«, wollte er wissen.
    Das war eine unerwartete Frage, so unerwartet, dass ich mich auf der dunklen Straße umsah. Ich hatte eine Lizenz, eine versteckte Waffe zu tragen, erteilt in einer Zeit, als ich noch hochgestellte Freunde hatte.
    »Nein«, sagte ich. »Warum?«
    »Ich hab mich bloß gefragt, ob Sie wissen, worauf Sie sich einlassen«, sagte er. »Wie ich sehe, tun Sie das nicht.«
    »Was soll das heißen?«
    Ein blasses Lächeln huschte über die Lippen des Polizisten und verschwand wieder – wie die Flosse eines Haifischs.
    »Wir sehen uns, Leonid«, sagte er.
    Damit wandte er sich ab und ging davon, was seiner ominösen Andeutung die größtmögliche Wirkung verlieh.
    Ich blieb noch eine Weile stehen. Wieder überlegte ich, die U-Bahn zu nehmen, doch als ein freies Taxi neben mir bremste, sprang ich hinein, weil ich wusste, dass Carson Kitteridge nie leere Drohungen aussprach.

12
    Katrina schnarchte immer noch, also machte ich es mir auf der Pritsche in meinem Arbeitszimmer bequem. Zwischen dem gedämpften Verkehrslärm von der Straße und einer massiven Eichentür schaffte ich es einzudösen – nicht, dass der Schlaf irgendein Trost gewesen wäre.
    Freud sagt, dass Träume die Ereignisse der vergangenen ein oder zwei Tage verwenden, um die Tiefen eines zeitlosen Unbewussten aufzuwühlen. Das brachte mein Vater mir bei, als ich elf Jahre alt war und mir wünschte, ich könnte in eine normale Schule gehen. Ich wollte etwas über Cowboys und Dampflokomotiven, Raumfahrer und nackte Frauen lernen – all die Sachen, von denen ich überzeugt war, dass die anderen kleinen Kinder sie lernten.
    In dem Traum jener Nacht hielt mein Vater mir einen Vortrag über Schuld. Er trug einen weißen Anzug und ein braunes T-Shirt. Er war alt, aber weil er hinter einem elfenbeinfarbenen Schreibtisch saß, konnte ich nicht erkennen, ob er gebrechlich war.
    »Ein wahrhaft Schuldiger ist wie ein Wahnsinniger«, sagte er (womöglich zu mir). »Er kennt seinen eigenen Zustand nicht, weil er an einen Satz von Regeln glaubt, die den Überzeugungen des Arbeiters widersprechen. Der Arbeiter hat es mit Realität und Regeln zu tun. Er kann sich weder Wahnsinn leisten noch Schuld empfinden, weil er das Gesetz und die Basis ist, auf der sich das Gesetz gründet.
    Du, Leonid«, sagte er und sah mich an, als ob ich der

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