Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
der Inquisition.
»Das hab ich Ihnen doch gerade erklärt.«
»Wo immer das Kind jetzt ist, es ist bei den einzigen Eltern, die es je gekannt hat. Ich kann Ihre Tochter finden, aber nicht, wenn Sie einfach so reinplatzen wollen, ohne vorher die Leuten zu treffen, die Ihre Tochter angenommen haben, nachdem Sie sie zur Adoption freigegeben haben.«
»Ja. Ja, das verstehe ich.«
Zellas frühere Schönheit kehrte zurück. Ihr Gesicht hatte Farbe angenommen, und sie begann, eine innere Haltung auszustrahlen, die ihr das Gefängnis nie erlaubt hätte.
»Und was ist das Zweite?«, fragte ich.
»Harry.«
»Tangelo?«
Sie nickte und senkte den Kopf.
»Was? Tut es Ihnen leid, ihn nicht getötet zu haben?«
»Ich kann mich nicht mal daran erinnern, überhaupt auf ihn geschossen zu haben«, sagte sie und hob trotzig wieder den Kopf. »Die Ärzte nennen es selektive Amnesie. Das Trauma, auf ihn geschossen zu haben, hat die Erinnerung ausradiert. Das Erste, woran ich mich wieder erinnere, ist, dass ich auf der Polizeiwache von einer Frau namens Ana Craig verhört wurde. Sie hat mir erzählt, was passiert ist.«
»Aber Sie müssen doch wütend darüber gewesen sein, was er getan hat.«
»Er hatte es nicht verdient, dass man auf ihn schießt und ihm so einen Schrecken einjagte. Harry ist ein schwacher Mann. Ich kann mir ausmalen, wie er sich gefühlt haben muss, als ich immer weiter auf ihn geschossen habe. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass Minnie mich geschlagen hat … mich davon abgehalten hat, ihn umzubringen.«
»Da haben Sie heute Morgen am Busbahnhof aber was anderes gesagt.«
»Ich meinte bloß, dass ich verrückt war. Ich wusste nicht, was ich tat. Wenn mir nicht jemand diesen Raub in die Schuhe geschoben hätte, wär ich mit verminderter Zurechnungsfähigkeit davongekommen.«
»Und was wollen Sie wegen Harry Tangelo unternehmen?«
»Ich möchte mich bei ihm entschuldigen«, sagte sie. »Ich möchte ihm in die Augen blicken und sagen, es tut mir leid.«
Wenn sie bloß irgendeine potenzielle Klientin gewesen wäre, die in mein Büro marschiert, hätte ich sie abgewiesen. Mütter und schuldbewusste Liebende benutzen Privatdetektive wie Papierhandtücher in einer öffentlichen Toilette. Aber Zella war keine Fremde. Wenn sie ein Zug auf dem falschen Gleis war, dann war ich derjenige, der die Weichen gestellt hatte.
»Ich kann wahrscheinlich herausbekommen, von wem ihr Kind adoptiert wurde«, sagte ich. »Doch ich kann Ihnen nicht versprechen, dass diese Leute einem Treffen mit Ihnen zustimmen werden. Harry Tangelo kann ich auch aufspüren, aber für ihn gilt das Gleiche.«
Zella zückte den Umschlag mit Bargeld, den ich ihram Morgen gegeben hatte, und legte ihn auf den halbmondförmigen Tisch.
»Ich hab etwas mehr als sechsundsiebzig Dollar ausgegeben, aber den Rest können Sie haben.«
»Sie kriegen, wofür Sie bezahlen«, sagte ich und ließ den weißen Umschlag auf der blassgelben Tischplatte liegen.
»Was soll das heißen?«
»Sie engagieren mich, um Ihr Kind und Ihren alten Freund zu sehen. Wahrscheinlich finde ich die beiden, mit einem Treffen könnte es wie gesagt etwas komplizierter werden. Behalten Sie Ihr Geld, bis ich Ihnen ein paar Antworten liefern kann.«
»Sie wollen das Geld nicht?«
»Erst wenn ich weiß, dass ich es verdienen kann. Ich möchte doch nicht, dass eine heißblütige Mama wie Sie denkt, ich hätte sie betrogen.«
Da sah ich sie zum ersten Mal lächeln. Es war ein nettes Lächeln. Sehr nett.
»Und was jetzt?«, fragte sie.
»Ich spendier Ihnen noch einen Drink, setze Sie in ein Taxi, und morgen widme ich mich dem Auftrag, den Sie mir erteilt haben.«
»Das ist alles?«
»Es sei denn, ich muss noch jemanden für Sie finden.«
»Nein.«
»Und Sie haben nicht mehr vor, Mr. Tangelo zu erschießen, oder?«
Sie lächelte noch einmal. »Nein, Mr. McGill, und …« Sie stockte und sah mich unvermittelt an.
»Was?«
»Ich wollte mich entschuldigen für das, was ich heute Morgen am Busbahnhof zu Ihnen gesagt habe. Ich bin eigentlich besser erzogen.«
»Hey. Wenn man nach acht Jahren hinter Gittern für ein Verbrechen, das man nicht begangen hat, und ein anderes, für das man nicht verantwortlich war, nicht mal die Beherrschung verlieren darf, wäre diese Welt härter, als es irgendjemand ertragen könnte.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, Mr. McGill. Es war hart. Vielleicht komme ich jetzt auf Ihre Einladung zu einem Drink zurück.«
Kurz vor zwei Uhr morgens setzte ich
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