Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
einzige Mensch auf der Welt wäre. »Du bist sowohl wahnsinnig als auch schrecklicher Taten schuldig, die du im Nebel deines Wahns begangen hast. Du weißt es nicht. Du begreifst und erinnerst dich nicht einmal daran. Du glaubst an die Lügen des Despoten und hast dich deshalb selbst zu der ultimativen Strafe verurteilt.«
Diese Verkündung versetzte mir einen Stich ins Herz. Ich wollte widersprechen, die Beschuldigungen von mir weisen, die mein Richter, mein Vater erhob. Ich wollte etwas sagen, doch meine Stimme war weg. Ich wollte aufstehen, stellte jedoch fest, dass ich keine Beine hatte. Meine Arme waren Stümpfe. Und obwohl ich mir das Hirn zermarterte, fiel mir keine meiner guten Taten ein.
»Du bist der lebende Tote«, sagte irgendjemand.
Ich wollte weinen, hatte jedoch weder Atem noch Augen. Ich wolle aufwachen, doch stattdessen fiel ich in die dunkle Höhle gnadenlosen Schlafs.
Wenn ein Toter die letzte Ruhe abschütteln könnte, hätte er sich gefühlt wie ich, als sich die Sonnenstrahlen am nächsten Morgen schmerzhaft in meine Augen bohrten. Mein Körper war zu schwer, um sich zu erheben, die Luft so dick, dass das Atmen sich zähflüssig anfühlte. Mir kam der Gedanke, ich könnte einen Herzinfarkt haben. Ich richtete mich mit einem Ruck auf und lachte.
»Ein Toter zum Leben erschreckt«, murmelte ich und lächelte noch einmal.
Katrina lag rücklings und vollständig bekleidet auf dem Bett. Ihre Augen waren möglicherweise offen.
»Bist du wach?«, fragte ich.
»Was ist passiert?« Sie versuchte, sich auf dem linken Arm abzustützen, doch ihr Ellbogen rutschte weg, und sie sank zurück auf das Kissen.
Ich wandte mich ihr zu und streckte beide Hände aus. Während ich sie in eine sitzende Position hochzog, musste ich darüber lächeln, wie ähnlich wir uns an diesem Morgen waren.
»Und?«, fragte sie.
»Dimitri ist in seine neue Wohnung gezogen, und du warst irgendwann weggetreten.«
»Hab ich mich zum Narren gemacht?« Sie bedeckte mit beiden Händen das Gesicht.
»Mütter haben Narrenfreiheit, wenn sie zusehen müssen, wie ihr Erstgeborener in die Welt hinauszieht.«
Sie ließ die Hände sinken und blickte direkt durch mich hindurch. In diesem Augenblick sah man ihr jedes ihrer dreiundfünfzig Jahre an.
»Diese Frau ist nicht gut für ihn«, sagte sie.
»Sie ist schon ein Früchtchen, so viel ist sicher«, stimmte ich ihr zu. »Aber das muss D selbst herausfinden. Er hatte vorher noch nie eine Frau. Und du weißt doch, wie Männer sind.«
»Kümmert es dich gar nicht?«
»Was soll ich deiner Meinung nach tun, Katrina? Soll ich versuchen, seinen Willen zu brechen? Ihn wieder zum Kind machen, statt ihn einen Mann werden zu lassen?«
»Sie könnte ihn umbringen lassen. Das weißt du.«
»Er weiß es auch.«
Sie ließ meine Hände los und wandte sich ab. Ichwartete einen Moment, bevor ich kalt duschen ging. Eine Stunde später verließ ich das Haus. Katrina kam nicht heraus, um mir auf Wiedersehen zu sagen.
13
Es war exakt 7.30 Uhr, als ich vor meinen Büroräumen in der zweiundsiebzigsten Etage des Tesla Building stand. Unter der Tür schimmerte Licht durch, deshalb drückte ich auf die Klingel, anstatt meine Schlüssel aus der Tasche zu ziehen. Das Schloss klickte, ich drückte und betrat den Empfang.
Mardi stand auf, als ich hereinkam. Sie trug ein perlgraues Kleid und einen dünnen weißen Pulli.
»Guten Morgen, Mr. McGill. Wie geht es Ihnen heute?«
»Seit wann bist du hier?«
»Seit sieben.«
»Aus einem bestimmten Grund?«
»Ich komme gern früh, falls jemand in der Nacht eine Nachricht hinterlassen hat. Manchmal kriegen Sie nachts eine Menge Anrufe.«
»Letzte Nacht auch?«
»Mr. Lewis hat seit Viertel nach fünf vier Mal angerufen. Er sagt, Sie sollen ihn dringend zurückrufen.«
Ich zog mein Handy aus der Tasche und stellte fest, dass der Akku leer war. Breland hätte die ganze Nacht anrufen können. Er kannte auch meine private Festnetznummer, wusste jedoch, dass geschäftliche Anrufe auf dieser Leitung strikt verboten waren. Das Einzige, was mir im Leben wirklich Angst macht, ist die Aussicht, mit einem Anwalt zu sprechen. Selbst gute Neuigkeiten von meinem eigenen Anwalt weckten üble Gefühle und törichte Furcht.
»Wenn er noch mal anruft, sag ihm, dass du mich nicht vor zehn erwartest«, sagte ich.
»Okay. Sonst noch was?«
»Wie ist der restliche Umzug gelaufen?«
»Nachdem wir bei Ihnen weg waren, ging es Dimitri prima. Twill hat uns alle auf eine Pizza
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