Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Dass Zella Gerties Opfer wurde, war ebenso sehr Pech wie alles andere.
Sechs Tage vor dem Raubüberfall hatte Zella Grisham kurz vor dem Mittagessen einen ernsten Anfall von Übelkeit. Sie arbeitete für einen Makler, dessen Büro sich im selben Block befand wie das Rutgers-Gebäude. Ihr Boss schickte sie netterweise nach Hause, wo sie ihren Geliebten Harry Tangelo im Bett mit ihrer Freundin Minnie Lesser erwischte.
Zella erzählte der Polizei und später den Gerichten, dass sie nicht mehr wisse, was danach geschehen war. Sie erinnerte sich nicht, zur Kommode gegangen zu sein,die Kaliber-32-Pistole ihres Daddys aus einer Schublade gezogen und den treulosen Freund in die rechte Schulter, den linken Knöchel und die Hüfte geschossen zu haben. Sie stritt es nie ab, sie hatte bloß keine Erinnerung daran.
Der Distriktstaatsanwalt war wild entschlossen, sie hinter Gitter zu bringen. Der öffentlichen Meinung nach hätte sie den Dreckskerl erschießen sollen – schließlich hatten Harry und Minnie jeweils eigene Wohnungen. Und viele fragten sich, warum sie nicht auch auf Minnie geschossen hatte.
Zwei Wochen später rief Gertie mich an. Sie hatte von Stumpy ein Foto von Zella, den Schlüssel zu ihrem Lagerabteil und das Geld in Rutgers-Banderolen bekommen. Auf einem der Bündel waren ein paar Tropfen Blut von dem toten Wachmann.
»Es ist perfekt«, sagte Gertie. »Und sie geht sowieso in den Knast.«
Selbst damals, lange bevor ich ein Gewissen entwickelte, hatte ich Bedenken. Der Grund für Zellas Übelkeit war, wie sich herausstellte, eine unerwartete Schwangerschaft. Und eine schwangere Frau fälschlich zu belasten, fühlte sich verkehrt an. Doch es ging um eine Menge Geld, genug, um die Miete für viele Monate und die Arztrechnungen meiner Kinder zu bezahlen. Außerdem hatte Gertie mich um Hilfe gebeten, und ich hoffte immer noch, dass sie mir eines Tages vergeben würde.
Trotzdem zögerte ich. Ich erinnere mich noch genau, wie ich in Gerties Wohnung saß und auf die malerische Straße in SoHo blickte. Und dann berührte Gertie meine linke Hand.
»Tut es für mich, LT «, sagte sie.
Und so verkleidete ich mich, so gut ich konnte, mietete ein Lagerabteil auf Zellas Etage, sägte das Schloss ihres Abteils auf und stellte eine Truhe hinein. Ich manipulierte die Beweise ein wenig, weil mir der ganze Deal irgendwie komisch vorkam. Ich hatte nicht mit Stumpy gesprochen, und Gertie hatte ihm auch nicht erzählt, dass ich den Job übernehmen würde. Das Geld stimmte, aber ich hatte das Gefühl, dass ich und auch Gertie eine Versicherung brauchten.
Danach rief ich anonym bei der Polizei an und erzählte, dass Zella Grisham in ihrem Lagerraum ein Tagebuch aufbewahrte, in dem sie den Anschlag auf Harry Tangelo detailliert beschrieb. Die Polizei brach das Lager auf und entdeckte die Indizien, die Zella mit dem Raubüberfall in Verbindung brachten.
Der Distriktstaatsanwalt, der die Schüsse auf Harry vielleicht unter verminderter Zurechnungsfähigkeit abgebucht hätte, brachte alles bis auf den Patriot Act gegen sie in Stellung und verlangte, dass sie ihre Komplizen preisgab.
Es gab ein kurzes Zeitfenster, in dem ich wieder mit Gertie hätte zusammenkommen können, doch ich fühlte mich schlecht wegen dem, was ich getan hatte – sogar damals, als Verrat und Betrug für mich zum Tagesgeschäft gehörten.
Etliche Jahre später kassierte ich einen unverhofften Bonus von einem dankbaren Klienten. Ich nahm das Geld und tischte Breland Lewis eine Geschichte über Vorhängeschlösser und schlampige Polizeiarbeit auf, über falsche Geldbanderolen und Blut, das gar nicht von Clay Thorn, dem ermordeten Wachmann, stammte.
Und jetzt stand ich auf der unteren Ebene des Port Authority Terminals in der 42 nd Street und kam mir immer noch vor wie ein Schwein.
»Verzeihung?«, fragte ein Mann.
Ich ignorierte ihn. Im Busbahnhof wurde man ständig angeschnorrt, und ich hatte für einen Tag schon gegeben, was ich konnte.
Wenn Zella die Wahrheit gekannt hätte, hätte sie mich gehasst. Mit diesem Wissen mobilisierte ich zumindest ein wenig Hass auf mich selbst – und auf meine Mitmenschen.
»Sir?« Die Stimme klang energischer als die eines Normalbürgers. Ich drehte mich um und sah, dass es ein Polizist war, ein Weißer, etwa 1,75 Meter groß – knapp zehn Zentimeter größer als ich.
»Ja?«, sagte ich.
»Kenne ich Sie?«
»Ist das eine Fangfrage oder wollen Sie mich anmachen?«
»Was?«
Ich verdrückte mich in Richtung
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