Mann im Dunkel
Frau in zerlumpten Kleidern gegenüber; sie schiebt einen Einkaufswagen mit ihren Habseligkeiten vor sich her.
Entschuldigen Sie, sagt Brick. Könnten Sie mir sagen, ob das hier die Straße nach Wellington ist?
Die Frau bleibt stehen und sieht Brick mit verständnislosen Augen an. Er bemerkt ein schütteres Büschel Barthaare an ihrem Kinn, ihren runzligen Mund, ihre knotigen, arthritischen Hände. Wellington?, sagt sie. Wer hat Sie danach gefragt?
Niemand hat mich gefragt, sagt Brick. Ich frage Sie.
Was habe ich damit zu schaffen? Ich kenne Sie nicht.
Ich kenne Sie auch nicht. Ich frage lediglich, ob das hier die Straße nach Wellington ist.
Die Frau mustert ihn prüfend und sagt schließlich: Das kostet Sie fünf Dollar.
Fünf Dollar für ein Ja oder Nein? Sind Sie verrückt?
Alle hier sind verrückt. Wollen Sie mir etwa erzählen, Sie seien es nicht?
Ich will Ihnen überhaupt nichts erzählen. Ich will nur wissen, wo ich bin.
Sie stehen auf einer Straße, Schwachkopf.
Ja, schön, ich stehe auf einer Straße, aber ich will wissen, ob diese Straße nach Wellington führt.
Zehn Dollar.
Zehn Dollar?
Zwanzig Dollar.
Vergessen Sie’s, sagt Brick, dem jetzt der Geduldsfaden reißt. Ich komme schon noch dahinter.
Wohinter?, fragt die Frau.
Statt ihr zu antworten, marschiert Brick wieder los, und wie er so durch den Nebel davongeht, hört er die Frau hinter sich laut auflachen, als habe ihr jemand einen guten Witz erzählt.
Die Straßen von Wellington. Es ist nach Mittag, als er hungrig und erschöpft die Stadt erreicht, seine Füße schmerzen von den Strapazen der langen Wanderung. Die Sonne hat den Morgennebel aufgelöst, und während er bei heiteren sechzehn Grad durch die Gegend streift, bemerkt er mit Freude, dass die Stadt mehr oder weniger unversehrt ist, kein ausgebombtes Kriegsgebiet mit Bergen von Trümmern und toten Zivilisten. Er sieht eine Reihe zerstörter Gebäude, einige mit Kratern übersäte Straßen, ein paar niedergerissene Barrikaden, im Übrigen aber scheint Wellington intakt geblieben zu sein, überall sind Fußgänger unterwegs, Leute gehen einkaufen, die Atmosphäre hat absolut nichts Bedrohliches. Der einzige Unterschied zu anderen amerikanischen Großstädten ist der, dass es hier keine Autos, Lastwagen oder Busse zu geben scheint. Fast alle gehen zu Fuß, die wenigen anderen bewegen sich auf Fahrrädern. Noch kann Brick unmöglich wissen, ob es sich dabei um die Folge einer Benzinknappheit oder um eine kommunalpolitische Entscheidung handelt, aber er muss zugeben, dass die Stille eine angenehme Wirkung tut, dass sie ihm lieber ist als der chaotische Lärm in den Straßen von New York. Darüber hinaus hat Wellington jedoch keine besonderen Attraktionen zu bieten. Es ist eine schäbige, heruntergekommene Stadt mit hässlichen, schlechtgebauten Häusern, kein Baum weit und breit, auf den Bürgersteigen liegen Berge von nicht abgeholtem Müll. Ein trauriges Kaff, das schon, aber ganz und gar nicht die elende Hölle, die Brick erwartet hatte.
Der erste Punkt auf seiner Tagesordnung lautet, sich den Bauch zu füllen, nur scheint es in Wellington kaum Restaurants zu geben, und so dauert es eine ganze Weile, bis er in einer Gasse abseits einer der Hauptstraßen einen kleinen Imbiss entdeckt. Es ist kurz vor drei, die übliche Mittagszeit längst vorbei, und in dem Lokal ist außer ihm sonst niemand. Links ein Tresen mit sechs freien Barhockern, rechts, an der Wand gegenüber, stehen vier ebenfalls freie Tische. Brick beschließt, sich an den Tresen zu setzen. Kaum hat er sich auf einem Barhocker niedergelassen, kommt eine junge Frau aus der Küche und knallt ihm die Speisekarte hin. Sie ist Mitte bis Ende zwanzig, eine dünne, blasse Blondine mit müden Augen und der Andeutung eines Lächelns auf den Lippen.
Was gibt’s denn heute Gutes?, fragt Brick, ohne die Karte aufzuschlagen.
Die Frage lautet eher: Was gibt’s heute überhaupt, erwidert die Kellnerin.
Ach. Also dann, was gibt es heute?
Thunfischsalat, Hühnchensalat und Eier. Der Thunfisch ist von gestern, das Huhn von vorgestern, und die Eier sind heute früh gekommen. Wir bereiten sie auf jede gewünschte Art zu – als Spiegelei, Rührei, pochiert. Hart, mittel oder weich gekocht. Was auch immer, wie auch immer.
Kann ich Speck oder Würstchen dazu haben? Toast oder Kartoffeln?
Die Kellnerin verdreht in gespieltem Entsetzen die Augen. Träumen Sie weiter, sagt sie. Eier heißt Eier. Nicht Eier mit was dabei. Nur
Weitere Kostenlose Bücher