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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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es ständig Schwierigkeiten gab, als ersten auf die Welt
gebracht hatte, einen tadelnden Blick zu. Dann wischte er bedächtig seinen
Teller mit einem Stück Weißbrot aus und schob ihn über den Tisch. »Gib mir noch
einmal, Mama«, sagte er feierlich. Essen war für ihn eine Handlung von tiefer,
innerer Bedeutung.
    Die Orlanos waren im 18.
Jahrhundert von Frankreich nach Italien eingewandert und hatten damals noch
Orlans geheißen. In Enrico vereinigte sich die verfeinerte Zunge des Franzosen
mit der wilden Eßlust des Italieners.
    Die Signora füllte ihm mit drei
gekonnten Griffen ihrer runden, beringten Hände den Teller. »Roberto hat heute
eine Eins in Chemie geschrieben«, sagte sie, um wenigstens über ihren Jüngsten
etwas Erfreuliches zu berichten.
    »Und Deutsch?«
    »Ist noch nicht ‘raus«, sagte
Roberto rasch. Er war klein und stämmig und besaß einen ausgeprägten
merkantilen Sinn. Er würde einmal in die Fußstapfen des Vaters treten und
betrieb heute schon im Kreise seiner Altersgenossen einen schwunghaften Handel
mit den verschiedensten Dingen.
    Enricos Brauen zogen sich
drohend zusammen. »Wenn es in Deutsch wieder eine Fünf gibt, darfst du in den
Ferien nicht mit dem Rad nach Frankreich.«
    Roberto zeigte seine großen,
kantigen Zähne. »Ich frage dich, was ich von der >Kunst als Abbild dessen,
was die Seele des Menschen erfüllt< wissen muß, wenn ich eine Banane von
einer Stangenbohne unterscheiden kann. Ich werde doch mal Obsthändler.«
    Carita ließ ihre sanften,
dunklen Augen zu dem Bruder hinüberwandern. »Wegen der Bildung, du Trottel.«
    »Ja, und weil du schließlich
ein Deutscher bist, hier geboren«, rief Francesca leidenschaftlich. Sie sprach
mit vollem Mund, was Frau Orlano zwar selbst manchmal tat, aber bei ihren
Töchtern nicht gern sah.
    »Schluck hinunter, bevor du
etwas sagst, Francesca.«
    »Ich bin mit einer Fünf in
Deutsch genausogut ein Deutscher wie mit einer Eins«, murrte Roberto.
    »Aber du fällst im Abitur durch
und besudelst den Namen der Orlanos«, donnerte Enrico, und während seine kugelrunden
Augen hin und her schossen, zerrte er an seiner riesigen Serviette, die er sich
zu eng um den Hals gebunden hatte. Seitdem er kürzlich gelesen hatte, daß Ärger
während der Mahlzeiten dem Magen schadet, hatte er keine rechte Freude mehr an
gepfefferten Auseinandersetzungen bei Tisch. War sich seine aufsässige Familie
eigentlich darüber im klaren, wie sehr sie die Gesundheit ihres Ernährers
gefährdete? »Ruhe jetzt! Und erspare dir in Zukunft deine dummen Vergleiche mit
der Banane und der Stangenbohne. Du hast in Deutsch gut zu sein und damit
basta.«
    »Warum muß denn ich so
hochgebildet werden, und Nico darf ein Schaf bleiben?« brauste Roberto auf.
    Nico lief dunkel an. »Ich werde
dir gleich beweisen, was für ein Schaf ich bin, ich werde dich auf die Hörner
nehmen, du halbe Portion.« Er stieß seinen Stuhl zurück und wollte aufspringen,
aber Frau Orlano packte ihn beim Handgelenk und beschwichtigte ihn. »Ihr werdet
euch doch nicht prügeln wie die Gassenbuben.«
    Enrico blickte sich mit
Wohlbehagen im Kreise um. Er hatte die Gefahr eines Magengeschwürs längst
vergessen und freute sich darüber, wieviel Kraft und Saft in seiner Familie
steckte. Alle schrien durcheinander und sprachen mit schönen, großangelegten
Gesten, und er überwachte das Ganze wie ein Dirigent, der stolz auf sein
starkes, guteingespieltes Orchester ist. Als die Wogen am höchsten gingen,
klopfte er ab. »Nico wird es schon noch bereuen, daß er die Schule nicht fertig
gemacht hat«, rief er dröhnend. »Wenn er schon nicht mit dem Kopf arbeiten will,
soll er wenigstens mit den Händen arbeiten. Obstkisten verladen. Aber das ist
ihm zu niedrig. Mein Herr Sohn ist ja zu was Höherem berufen. Zum Künstler!«
    Frau Orlano wechselte die
tiefen Teller mit den flachen aus und nahm die Spaghettischüssel vom Tisch. Die
Mädchen halfen ihr dabei. Roberto betrachtete seine breite, goldene Armbanduhr,
Nico und der Vater maßen sich mit finsteren Stirnen. Sie waren beide voll
Kampfbereitschaft und sahen einander sehr ähnlich.
    »Mach ihn nicht immer ‘runter,
Enrico«, sagte Frau Orlano,«Nico hat immerhin fünf Jahre in einem Fotogeschäft
gearbeitet.«
    »‘runter! Ich versuche nur, ihn
aus den Wolken zu holen und mit den Füßen auf die Erde zu stellen.«
    Die Geschwister blickten den
Vater und Nico an. Sie waren diese Szenen gewöhnt, sie gehörten zum täglichen
Brot wie die Schüssel

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