Manner Lieben
gedanklich nach Berlin zurück — Großstadt — Regen — nix Meer! Der Mann mit dem dunklen Haar schien Raphaels gedankliche Abwesenheit gar nicht bemerkt zu haben.
„Ich suche Kira", erwiderte er knapp. Raphael runzelte die Stirn.
„Wer ist Kira? Ihre Freundin?" Der Blick des anderen traf ihn plötzlich und unvorbereitet. Raphael kam in den Sinn, dass er offenbar eine amüsante Frage gestellt haben musste, denn sein Gesprächspartner lachte kurz auf.
„Nein, nicht meine Freundin. Kira ist meine Hündin. Ein Border Collie. Sie hat panische Angst vor Regenschirmen. Ich weiß nicht warum ... Vielleicht ist sie mal mit einem geschlagen worden. Ich habe sie aus dem Tierheim. Ich hatte gehofft, sie vertraut mir inzwischen so weit, dass ich meinen Schirm öffnen kann. Aber sie ist abgehauen. Sie muss hier noch irgendwo sein." „Was macht Sie da so sicher?", fragte Raphael zweifelnd und sah sich nun ebenfalls um.
„Weil sie eigentlich gar nicht vor mir weglaufen will. Sie hat sich nur erschreckt. Ich vermute, sie versteckt sich hier irgendwo, bis sie das Gefühl hat, sich wieder vorwagen zu können." „Aha", gab Raphael zurück. Er hatte selbst nie einen Hund besessen, und sein Kater Derrick hatte eher die Angewohnheit, seine Krallen auszufahren, wenn er Angst vor etwas hatte. Weglaufen kam für den nur infrage, wenn der Gegner unbesiegbar schien, größer als er selbst war, und viel lauter als sein eigenes Fauchen — der Staubsauger war der Einzige, der diese Kriterien alle erfüllte.
„Könnten Sie bitte den Schirm zumachen?", fragte der andere Mann mit eindringlicher Stimme.
Raphael sah hinauf zu dem dunklen Stoff, der ihn und den Fremden schützte. Zumindest schützte er ihre Köpfe vor dem Regen, denn inzwischen war auch Raphaels Jeans von den regnerischen Querschlägern völlig durchnässt. „Sie können doch wegen Ihres Hundes nicht alle Leute bitten, die Schirme zu schließen."
„Im Moment sind aber nur Sie hier, mit einem Schirm. Und noch dazu stehen Sie so dicht bei mir, dass Kira sich nicht herwagen wird. Schließen Sie also bitte den Schirm und verstecken Sie ihn, oder gehen Sie weg von mir!"
Raphael sah den anderen mit offenem Mund an. Gut, die Ansage war deutlich gewesen.
„Und was ist mit denen dort?" Er wies auf die riesigen Schirme neben den Tischen und Stühlen. Der Mann sah kurz hin und erwiderte:
„Die sind verhüllt und vermutlich viel größer als der, den Kira in schlechter Erinnerung hat. Zudem werden die von keinem Menschen gehalten — Ihrer schon!"
Raphael zögerte. Möglichkeit eins: den Schirm zumachen und genauso idiotisch wie der Typ im Regen stehen. Möglichkeit zwei: einfach weggehen. Keine leichte Entscheidung. Oder eigentlich doch, wenn man nicht total bescheuert war. Ungeduldig sah der andere ihn an. Wassertropfen perlten über seine Lippen — hätten sie sich besser gekannt, wäre Raphael versucht gewesen, sie wegzuküssen. Okay, der Gedanke war nun auch nicht gerade völlig unbescheuert, denn die Wahrscheinlichkeit, dass der Fremde drauf stehen würde, war zugegebenermaßen eher gering.
Plötzlich drang ein Laut zu ihnen — ein Winseln. Sofort war Raphael für den Fremden uninteressant. „Kira! Kira, komm her, meine Süße!", rief er mit einschmeichelnder Stimme, die Raphael durch und durch ging, obwohl er gar nicht Kira hieß. Schnell schloss er den Schirm und durchsuchte ebenfalls das Gebüsch.
Die Blätter glänzten vor Nässe und wurden vom Wind zerzaust. Erneut ein Winseln, diesmal ganz nah. Raphael spähte durch das unruhige Blattwerk und tatsächlich machte er etwas SchwarzWeißes aus, das sich sofort unter das dichte Dach aus Grün zurückzog, als er sich näherte. Er fluchte leise, dann warf er seinen Schirm im hohen Bogen hinter sich auf den Gehweg. „Hier!", rief er dem anderen Mann zu und zeigte auf die Büsche, wo er zuvor noch das auffällige Fellbündel gesehen hatte.
Sofort kam der Fremde angelaufen, ging vor dem Busch in die Hocke - was selten dämlich vom Cafe aus aussehen musste — und sprach vertraulich mit dem Grünzeug.
„Komm, mein Schatz. Wir gehen nach Hause, ins Warme und Trockene. Du bekommst Leckerli und darfst an meinen Schuhen knabbern."
Wow, das musste der ultimative Liebesbeweis sein, denn eine schwarze Nase wuselte sich durch den Busch. Ganz langsam folgten eine weiße Schnauze und schließlich der ganze Hundekopf.
Kiras nasse Schlappohren schienen eine Etage zu niedrig zu hängen, was wohl daran lag, dass ihr
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