Manner Lieben
schüttelte matt den Kopf. „Ich würde dir gerne glauben, aber das sind nur Worte. Deine Taten wiegen schwerer." Die Kellnerin war neben Clement stehen geblieben, wurde gerufen und drehte sich so unglücklich um, dass sie mit dem Tablett an Clements Sonnenbrille stieß. Die Brille fiel auf den Tisch, die junge Frau wurde augenblicklich tiefrot. „Pardon, Monsieur!", sie schlug die Hand vor den Mund, während sie mit der anderen das Tablett balancierte. Clement machte eine knappe Geste und sagte: „Nichts passiert. Alles in Ordnung."
Die Kellnerin versicherte nochmals, wie leid ihr der Vorfall täte, und verschwand dann eilig.
,Alles in Ordnung' hatte Clement gesagt — aber nichts war in Ordnung, und es hatte erst des Missgeschickes der jungen Frau bedurft, damit Jacques erkannte, dass Clement tatsächlich so litt, wie er ihm weismachen wollte.
Die grünen Augen waren gerötet. Darunter waren dunkle Schatten zu sehen und die empfindliche Haut war eindeutig geschwollen. Clement hatte geweint? Jacques starrte ihn an, während Clement sich eilig die Brille wieder auf die Nase schob. „Ich mache mich dann gleich auf den Weg", sagte Clement. Er wollte sich schon erheben, als Jacques seine Hand festhielt und ihn damit zwang, sich wieder zu setzen. „Nimm die Brille ab!", forderte er. „Warum?", fragte Clement gequält. „Um meine grausamen Charakterzüge zu befriedigen."
Clement lachte freudlos über den Scherz, doch er nahm die Brille wie gewünscht ab, legte sie wieder auf den Tisch und hob erst den Blick, als es sich nicht mehr vermeiden ließ. „Das war hoffentlich keine Seife, die du dir heute Morgen in die Augen gerieben hast", sagte Jacques. Sein Herz krampfte sich bei dem Anblick zusammen. Die Liebe zu Clement durchströmte ihn so heftig, dass er kaum mehr atmen konnte. „Glaub, was du willst", gab Clement dumpf zurück. Jacques schwieg und sah sein Gegenüber immer noch eingehend an. Die Sonnenstrahlen spielten mit Clements blondem Haar. Jacques wusste es genau — er würde Clement nicht aus dem Kopf bekommen, selbst wenn er ihn nun gehen ließ und seine Tour fortsetzte. Clement war in seinem Kopf, seinem Bauch und vor allem in seinem Herzen.
Entschieden beugte er sich über den Tisch und küsste erst Clements rechtes, geschwollenes Auge, dann das linke. Sanft tat er es, die Blicke der anderen Gäste ignorierend. Als Clement die Lider wieder geöffnet hatte und ihn überrascht und zutiefst glücklich ansah, sagte Jacques ernst: „Das hier ist kein Freibrief für das nächste Mal. Wenn du zu mir gehören willst, dann nur zu mir! Es wird keine nächste Chance mehr geben." Vorsichtig streckte Clement seine Hand nach Jacques aus, berührte dessen Hals und streichelte ihm den Nacken. „Ich weiß, Jacques. Glaube mir, ich werde diese Chance nutzen. Du wirst es nicht bereuen, dich noch einmal für mich entschieden zu haben."
Als Clement ihn nun küsste, spürte Jacques tatsächlich keine Reue, und irgendetwas sagte ihm, dass vielleicht gerade diese Klärung der Fronten für ihre Zukunft wichtig gewesen war.
Großstadtpiraten
„Der Typ muss ja echt nicht mehr alle Tassen im Schrank haben." Raphaels Tischnachbar folgte kurz seinem Blick nach draußen, zuckte mit den Schultern und vertiefte sich dann wieder in seine Berliner Morgenpost. Gegen das große Fenster des Cafes klatschte der Regen, sturmgepeitschte Blätter wirbelten durch die Luft, bis sie niedergeprasselt wurden und wahre Sturzbäche sie in Richtung des überquellenden Rinnsteins spülten. Die großen Schirme, die neben den Tischen und Stühlen draußen standen, waren geschlossen und in regenfeste Folien gehüllt.
Noch vor ein paar Minuten hatte Raphael sich überlegt, dass er besser in eines der Cafes im Sony Center am Potsdamer Platz gegangen wäre. Die Überdachung hätte ihm wenigstens die Illusion verschafft, dass sein Herbsturlaub nicht völlig verregnet war. Zwar war heute erst sein zweiter Urlaubstag und er hatte noch gut eineinhalb Wochen vor sich, aber Raphael hatte da so ein Gefühl, dass genau so lange die nervige Regenperiode anhalten würde. Und das, obwohl eine Woche zuvor, als er im Büro saß, die goldene Oktobersonne noch zu ihm herein geschienen hatte.
Raphaels Hand lag nun locker um seine Cappuccinotasse, während er stirnrunzelnd durch die große Glasscheibe sah. Niemanden sonst im Café schien zu interessieren, was der Kerl da draußen direkt vor dem Fenster eigentlich trieb. Nun gut, hier rannten so viele
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