Mannerfreie Zone
Apartment. Die Mitbewohnerin, die er gerne ‚Schlampe‘ nennt, war geschäftlich unterwegs.“
„Wie praktisch. Gibt es zwei Schlafzimmer?“
„Ja. Das habe ich als Erstes überprüft.“
„Braves Mädchen. Und dann hat er dich ausgezogen?“
„Nein, dann musste ich pinkeln. Der ganze Sake. Du weißt schon. Das habe ich also gemacht.“
„Manche Details kannst du auch auslassen.“
„Gut, als ich also wieder zurückkomme, herrrscht gedämpftes Licht, und er hat seinen CD-Wechsler für ich glaube dreißig CDs angestellt, irgendwelche R’nB’-
Make-Love-To-Your-Woman
-Musik, und er liegt in Calvin-Klein-Unterwäsche auf der Couch, du weißt schon, diese kurzen Boxershorts, und sein bestes Stück versucht sich freizukämpfen.“
„Wow! Sein Körper?“
„Lass es mich so sagen. Er hätte sich vorher die Haare entfernen lassen sollen.“
„Nein!“ Sie kreischt praktisch ins Telefon. „Wie schlimm?“
„Haare auf der Schulter.“
„Gütige Mutter.“ Jetzt ist sie wirklich entsetzt. „Du machst Witze!“
„Diese Geschichte könnte ich gar nicht erfinden, und du solltest etwas weniger schreien, wenn du nicht willst, dass
Big C
richtig sauer wird.“
„Mist, du hast Recht. Sie hat mich gerade erst ganz böse angeschaut – gar nicht gut für ihre Krähenfüße. Ich rufe dich in zwei Minuten zurück. Ich muss das hier erst klären. Geh nicht weg. Ich will den Rest hören.“
Sie legt auf.
Aus zwei Minuten werden drei Stunden, und schließlich stehe ich doch auf, um auf die Toilette zu gehen. Ich treffe den Big Boss, meinen Boss, auf dem Rückweg zu meinem Schreibtisch. Herb Reynolds, der Mann, der die redaktionelle Verantwortung für unsere Zeitschrift trägt. Er hat diesen blasierten Blick wie alle Menschen, die nie wirklich für irgendetwas haben kämpfen müssen. Ein Mann, der an die Integrität seines Berufsstandes glaubt und tatsächlich der Meinung ist, dass seine Arbeit (die davon handelt, wie ein Mann ganz allein mit seinem Fahrrad um Freiheit ringt, von der Wichtigkeit körperlicher Bewegung für den amerikanischen Geist und so weiter) den amerikanischen Journalismus irgendwie weiter nach vorne bringt. Ich finde Herb ein kleines bisschen lächerlich und einschüchternd zugleich, aber auf jeden Fall ist es wichtig, sich gut mit ihm zu verstehen.
Wenn ich auch nur im Entferntesten mit dem Gedanken spiele, dass irgendwann meine neu überarbeitete Radfahr-Arzt-Story (das klingt nach einem B-Movie, oder nicht?) oder etwas anderes von mir gedruckt wird, dann muss ich seine Füße noch öfter küssen, als ich es sowieso schon tue. Eigentlich soll ich ja seine Assistentin sein, aber er hat ein Eckbüro am Ende des Ganges, unsere Telefone sind nicht einmal miteinander verbunden. Mein einziger echter Kontakt mit ihm findet dann statt, wenn ich für ihn Reisen organisiere oder er Belege von Mitarbeitern unterschreiben muss.
„Hallo, Eve“, sagt er mit seinem üblichen aufgeblasenen Lächeln. „Ich wollte gerade bei Ihnen vorbeikommen.“
„Wirklich?“ Hat ihm endlich jemand verraten, dass ich eine außerordentlich fähige Autorin bin, deren Talente in dieser unsäglichen Position geradezu verschwendet werden? Endlich stehe ich also doch kurz vor dem Durchbruch. Das beweist doch nur wieder, dass Sex einem ganz neue Perspektiven eröffnet.
„Ja, könnten Sie meinen Terminplan durchsehen und ein Treffen mit Lacey Matthews vereinbaren?“ Er reicht mir ihre Visitenkarte.
„Oh“, antworte ich. „Und worum geht es?“
„Sie ist freie Autorin. Wir wollen versuchen, Sie für uns zu gewinnen. Damit wir auch ein paar weibliche Leserinnen dazu gewinnen.“ (Er muss es ja wissen, die Zeitschrift heißt jedenfalls
Bicycle Boy
.)
„Gut“, sagte ich, während ich mit dem Gedanken spiele, die Karte zu zerreißen. „Ich rufe sie heute an.“
„Ja, sobald Sie etwas Zeit finden.“ Als ob mein Job nicht überwiegend aus viel Zeit bestünde.
Hier eine hypothetische Szene: Eine Person von zweifelhafter Autorität sagt: „Eve, könnten Sie nicht vielleicht die Büroklammern in der ganzen Firma zählen und dann in sieben gleichgroße Haufen aufteilen?“
Ich: „Großartig. Ich nehme das sofort in Angriff. Das wird Spaß machen.“
Manchmal, wenn ich den ganzen Tag besonders freundlich getan habe, renne ich auf die Toilette und starre in den Spiegel. Dann lächle ich abwechselnd mein unechtestes Begrüßungslächeln oder verziehe mein Gesicht zu der hässlichsten Grimasse, zu der ich in der
Weitere Kostenlose Bücher