Mannerfreie Zone
Lage bin. Ich kann es mit jedem Grimassenschneider aufnehmen. Ich habe unzählige Ideen, wie ich mich ganz besonders entstellen kann. Wahrscheinlich finden Sie das etwas eigenartig, aber glauben Sie mir, ich kann danach besser damit umgehen, mich ganz unten in der kreativen Nahrungskette zu befinden.
Als ich an meinen Tisch zurückkomme, blinkt das rote Licht. Eine Nachricht von Tabitha. Sie ist sauer, dass ich nicht da war, und besteht darauf dass wir ins
The Nook
gehen, unsere Kantine, damit sie den Rest der Geschichte erfährt. Ich rufe zurück, und wir beschließen, uns in zwanzig Minuten zu treffen.
Natürlich kommt sie zu spät. Ich muss am vereinbarten Treffpunkt warten, ein paar Schritte vor dem
The Nook
, und die Avancen des lüsternen Security-Typen abwehren. Er mag Tabitha eigentlich mehr, aber heute reicht ihm auch mein weniger femininer Körper. Als er mich fragt, ob mein Mann (ich habe einen erfunden) auch weiß, wie man richtig mit einer Frau schläft, wird er auf seinem beeindruckenden Walkie-Talkie angerufen. Er blickt suchend um sich und versichert dann den Anrufenden, dass alles in Ordnung ist.
„Von Ihnen natürlich abgesehen“, sagt er und zeigt mir seine hässlichen Zähne.
„Ja, ich bin eine echte Gefahr.“ Ich studiere konzentriert meinen Mitarbeiter-Ausweis, in der Hoffnung, dass er aufhört, mit mir zu sprechen.
„Der große Boss kommt gleich.“
„Der große Boss?“ Versucht er wieder, obszön zu sein?
„Sie wissen schon.“ Er deutet Richtung Himmel. Wird das nächste Erscheinen des Messias hier im
The Nook
erwartet? Dann kapiere ich es endlich – das ist sogar noch besser! Tabitha wird verrückt vor Neid. Nach wenigen Sekunden biegt kein geringerer als
der
Prescott Nelson mit einem Assistenten und ein paar muskulösen Bodyguards um die Ecke. Er humpelt. Jeder weiß, dass er als junger Mann einmal drei Bergsteigern das Leben gerettet hat, die sich verirrt hatten. Davon abgesehen sieht er ganz rüstig aus für einen Mann über siebzig.
Dann passiert etwas Erstaunliches. Es ist so erstaunlich, dass es fast in Zeitlupe geschieht. Unsere Blicke treffen sich, und ich lächle und er lächelt zurück und läuft an mir vorbei und steigt in den Fahrstuhl für die oberen Stockwerke. Fast unmittelbar nachdem sich die Fahrstuhltüren schließen, steigt Tabitha aus dem anderen Lift. Ich versuche mich zusammenzureißen, um sie nicht zu sehr zu frustrieren, aber es gelingt mir nicht.
„Wow“, sagt Tabitha, „du glühst ja geradezu von deinem gestrigen Erlebnis.“
„Daran liegt es nicht“, antworte ich. „Es liegt an ihm.“
„An wem?“ Ich lege ihr die Hand auf die Schulter. Sie wird das nicht gerade leicht wegstecken, auf keinen Fall.
„An ihm.“ Ich deute nach oben.
„An ihm?“ Erst ist sie verwirrt, dann versteht sie. Ich weiß es, weil ihre Lippen zu zittern beginnen.
Tabitha steht die ganze Zeit, während wir unseren Tortellini-Salat essen, kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Das Schlimmste daran ist, dass sie heute ihren Hermes-Schal trägt und der große Prescott es niemals erfahren wird. Sie stellt mir immer wieder die gleichen Fragen.
„Bist du sicher, dass er dich angelächelt hat?“
„Unsere Blicke haben sich getroffen. Wenn er dreißig Jahre jünger wäre, hätte man sagen können, es war geradezu magisch. Nein, streich das, es war so oder so magisch.“
„Du weißt, dass sie daran schuld ist, nicht wahr?“
„Wirklich?“ frage ich zurück, obwohl ich natürlich weiß, dass
Big C
die Wurzel allen Übels ist.
„Ja. Ich musste diesen ganzen Kram für ihr sogenanntes
Powerlunch
ausdrucken. Klar, dass das genau in dem Moment sein muss, wenn ich eigentlich eine Pause machen will. In Wahrheit handelt es sich wahrscheinlich um ein gestohlenes Nachmittags-Schäferstündchen im Marriot. Aber nein, sie verlangt sämtliche Unterlagen und hat dauernd Änderungswünsche und all so’n Mist! Will sie das alles lesen, während sie sich von wem auch immer befriedigen lässt?“
„Nun, das ist wahrscheinlich der Grund, warum sie es so weit gebracht hat.“
„Egal, auf jeden Fall freue ich mich für dich, Eve, obwohl du kein so großer Fan von ihm bist wie ich. Es ist wirklich nicht leicht, so selbstlos zu sein.“
„Tabitha, du hältst dich großartig.“
„Danke.“ Sie schweigt eine Zeit lang. Ich frage mich, ob sie es jemals verwinden wird. Ich will nämlich den Rest meiner Geschichte loswerden, es kommt so selten vor, dass ich ihr etwas Aufregendes
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