Manöver im Herbst
des Tages.
»Isch sähe nischts«, sagte die sächsische Majestät. »Aber 'n scheener Tag ist's …«
Unten, in der Senke, stellte sich – mit blauen Bändern um den Helmen, – das Königin-Augusta-Garde-Grenadierregiment Nr. 4 aus Berlin auf.
Der Gegner Heinrich Emanuel Schützes.
Um 11 Uhr begann die Schlacht.
Kaiser Wilhelm II. stand, den Aufmarschplan in der Hand, vor dem Scherenfernrohr und beobachtete den Angriff der roten Truppen. Seitlich von ihm, in einer offenen Kalesche, saß Kaiserin Auguste Viktoria mit zwei Prinzessinen v. Pleß. Sie tranken Kaffee, den ein livrierter Lakai anreichte.
Die ersten Salven der Artillerie zitterten durch die Luft. Am Horizont ritten Kürassiere eine Attacke. Vier Doppeldecker der 1912 neu geschaffenen Fliegergruppe kreisten über dem Manöverfeld. Von den noch in Ruhe liegenden Truppen wurden sie jubelnd begrüßt. Wie unschlagbar Deutschland ist, dachte jeder. Flieger in der Luft, diese Artillerie, der Schneid der Kavallerie und unsere Königin, die Infanterie … wer wagt es, uns anzugreifen?
Irgendwoher schallte hundertstimmiges »Hurra!« durch die Sonnenglut. Ulanen und Husaren drangen in eine Fußartilleriestellung ein. Die roten Truppen wankten …
Auf dem Feldherrnhügel sah Kaiser Wilhelm II. stolz auf die von ihm geführten blauen Truppenverbände. Die Schlacht verlief, wie der Generalstab und er geplant hatten. Hunderte Kuriere waren unterwegs, die Truppen zu bewegen. Ruhig, sachlich gab der Kaiser seine Befehle. Der König von Sachsen und der König von Griechenland standen hinter ihm.
»Een scheenes Bild«, sagte Friedrich August. »Nur zuviel knallen dud's!«
Einen Kilometer weiter, noch unbemerkt von den Scherenfernrohren der Majestäten, marschierte Heinrich Emanuel Schütze heran.
Um elf Uhr dreiundzwanzig Minuten sollte er mit seiner 2. Kompanie in die Schlacht eingreifen …
*
Schon beim Einrücken in die vorbereitete Stellung, die Hauptmann Stroy als Schiedsrichter anwies, bemerkte Fähnrich Schütze, daß zu beiden Seiten der ›roten Stellung‹ die Lage nicht sehr günstig stand. An den Flanken wurde geschossen, starkes Artilleriefeuer erfüllte den sonnigen Tag, über einen Hügel sah er durch sein Fernglas eine Eskadron Kürassiere im vollen Galopp eine ›rote‹ Infanteriestellung nehmen. Es war offensichtlich, daß die Gruppe Blau mit größeren Chancen kämpfte und den Sieg an sich riß.
Oberst v. Fehrenberg ritt mit drei anderen Offizieren im Kriegsgetümmel herum und winkte den Truppen zu, die als ›aufgerieben‹, ›gefallen‹ oder ›überrollt‹ aus der Manöverschlacht gezogen wurden und sich irgendwo in Senken oder an Waldrändern zur Ruhe niederließen. Drei Angriffslinien wurden von rasendem Maschinengewehrfeuer empfangen und sofort für ›tot‹ erklärt.
Für Schütze blieb keine lange Zeit der Überlegung übrig. Schon sah er, wie ihm gegenüber die Wellen des Königin-Augusta-Garde-Grenadierregiments Nr. 4 auf ihn zubrandeten. Ihre weißen Achselklappen, die weißen Ärmelpatten leuchteten in der Sonne … der Hornist vor den Linien schmetterte, Trommeln wirbelten … Die Hauptleute und Leutnante rannten ihren Truppen mit hocherhobenem, blankem Degen voraus und brüllten »Hurra! Hurra!«, Fahnen wehten, Rauchwölkchen quirlten auf … es war ein kraftvolles, kriegerisches Bild deutschen Angriffsgeistes und heldenmütiger Todesverachtung.
Heinrich Emanuel Schütze war ein wenig verwirrt. Er war ganz allein auf sich gestellt. Er hatte keine Instruktionen, es war keiner da, der befahl und für ihn dachte. Aber er war in einen Krieg hineingestellt worden, der zwar nur gespielt war, aber als Ernstfall betrachtet werden wollte. Und Seine Majestät stand irgendwo auf einem Hügel und beobachtete, wie sich ein junger Fähnrich im Ernstfall benehmen würde, wenn er von feindlichen Truppen in drei Wellen angegriffen wurde.
Die 2. Kompanie lag in Schützenlinie am Rande eines Waldes und starrte auf die angreifenden Gardegrenadiere. Zwei Feldwebel lagen neben Heinrich Emanuel und sahen ihn nachdenklich an.
»Die überrollen uns – und der Krieg ist für uns aus«, sagte einer von ihnen.
»Sie werden nicht näher kommen!« Schütze überblickte seine Kompanie. Ein Gedanke kam ihm, ganz plötzlich, wie ein Blitz, der durch die Hirnwindungen raste. »Bilden Sie Gruppen!« schrie er den Unterführern zu. »Jede Stube eine Gruppe … und dann vorwärts marsch-marsch in Sprüngen. Abstand pro Gruppe zehn Meter! Tief
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