Mantel, Hilary
zwischen England und Frankreich, einen, der das lange Kinn
des jungen Kaisers erzittern lässt und eine Träne aus seinem schmalen
Habsburger Auge presst.
Als o warum ist er nicht
fröhlicher, als er durch sein Privatgemach in York Place schreitet? »Was
erreiche ich denn, Cromwell, wenn ich alles bekomme, worum ich bitte? Die
Königin, die mich nicht leiden kann, wird ausrangiert, und wenn der König auf
seiner Torheit besteht, treten die Boleyns auf den Plan, die mich auch nicht
leiden können; das Mädchen hat eine Abneigung gegen mich, ihren Vater habe ich
jahrelang lächerlich gemacht, und ihr Onkel, Norfolk, sähe mich gern tot in einem
Graben. Glauben Sie, die Seuche wird vorbei sein, wenn ich wiederkomme? Man
sagt, Gott sendet alle diese Heimsuchungen, aber ich bilde mir nicht ein, Seine
Absichten zu kennen. Sie sollten auch die Stadt verlassen, während ich fort
bin.«
Er seufzt; stellt der Kardinal
seine einzige Arbeit dar? Nein; er ist nur der Klient, der seine beständigste
Aufmerksamkeit erfordert. Aber das Geschäft wächst ständig. Wenn er für den
Kardinal arbeitet, in London oder anderswo, begleicht er seine eigenen Unkosten
und die der Angestellten, die er in Wolseys Geschäften losschickt. Der
Kardinal sagt: Erstatten Sie sich Ihre Auslagen selbst, und baut darauf, dass
er darüber hinaus einen fairen Prozentsatz nimmt; er ist nicht
haarspalterisch, denn was gut für Thomas Cromwell ist, ist gut für Thomas
Wolsey - und umgekehrt. Seine Anwaltskanzlei floriert, und er ist in der Lage,
Geld gegen Zinsen zu verleihen und gegen eine Maklergebühr größere Anleihen auf
dem internationalen Markt zu vermitteln. Der Markt ist unbeständig - die
Nachrichten aus Italien bleiben nicht einmal zwei Tage aktuell —, aber wie
manche Männer ein Auge für Pferdefleisch oder für Mastrinder haben, hat er ein
Auge für das Risiko. Eine Reihe von Adligen ist ihm zu Dank verpflichtet, nicht
nur für die Vermittlung von Darlehen, sondern auch dafür, dass ihr Grundbesitz
mehr Profit abwirft. Dabei geht es nicht darum, Pächtern Abgaben abzupressen,
sondern in erster Linie darum, dem Landbesitzer einen genauen Überblick über
Bodenwerte, Ernteerträge, Wasserversorgung, Vermögen in Form von Gebäuden zu
geben und dann das Potenzial all dieser Faktoren abzuschätzen; danach schlaue
Leute als Verwalter einzusetzen und mit ihnen ein System der Buchführung
einzurichten, das sinnvoll ist und geprüft werden kann. Bei den Kaufleuten in
der City ist sein Rat zu Handelspartnern im Ausland gefragt. Nebenbei betätigt
er sich als Schlichter, überwiegend bei kaufmännischen Streitigkeiten, denn
man vertraut seiner Fähigkeit, die Faktenlage eines Falles einzuschätzen und
eine schnelle unparteiische Entscheidung zu fällen - hier, in Calais und in
Antwerpen. Wenn die beiden streitenden Parteien wenigstens darin übereinkommen,
die Kosten und Verzögerungen durch eine Anhörung vor Gericht vermeiden zu
wollen, dann ist Cromwell ihr Mann, gegen ein Honorar; und oft genug hat er das
Vergnügen, beide Seiten glücklich entlassen zu können.
Es sind gute Tage für ihn:
jeder Tag ein Kampf, den er gewinnen kann. »Sie dienen immer noch Ihrem
Hebräergott, wie ich sehe«, bemerkt Sir Thomas More. »Den Wucher meine ich,
Ihren Götzen.« Aber während More, ein Gelehrter, der in ganz Europa geachtet
ist, mit der Aussicht auf das lateinische Morgengebet in Chelsea aufwacht,
erwacht er mit einem Schöpfer, der die schnelle Sprache der Märkte spricht;
wenn More sich zu einer Runde Selbstgeißelung anschickt, spurten er und Rafe in
die Lombard Street, um die Wechselkurse des Tages zu erfahren. Nicht dass er
wirklich spurtet; eine alte Verletzung macht sich manchmal bemerkbar, und wenn
er müde ist, dreht sich der eine Fuß nach innen, als wolle er zu sich selbst
zurücklaufen. Die Leute meinen, es sei die Hinterlassenschaft eines Sommers
mit Cesare Borgia. Ihm gefallen die Geschichten, die man über ihn erzählt.
Aber wo ist Cesare jetzt? Er ist tot.
»Thomas Cromwell?«, sagen die
Leute. »Das ist ein schlauer Mann. Weißt du, dass er das gesamte Neue Testament
auswendig kennt?« Er ist genau der richtige Mann, wenn ein Streit über Gott
ausbricht; er ist genau der richtige Mann, um deinen Mietern zwölf gute Gründe
zu nennen, warum ihre Mieten gerecht sind. Er ist der richtige Mann, um einen Rechtsstreit
zu entwirren, in dem du dich seit drei Generationen verfangen hast, oder um
deine schniefende kleine Tochter zu der Ehe zu
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