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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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bescheidenen Flügel
eines Stadtspatzen. Unter ihren Gewändern trägt sie die Ordenstracht einer
Franziskaner-Nonne. Versuchen Sie immer herauszufinden, sagt Wolsey, was die
Leute unter ihren Kleidern tragen. Zu einer früheren Zeit seines Leben hätte
ihn das überrascht; damals dachte er, dass die Leute unter der Kleidung ihre
Haut trügen.
     
    Es gibt viele Präzedenzfälle,
sagt der Kardinal, die dem König bei seinem gegenwärtigen Anliegen helfen können.
König Ludwig XII. wurde erlaubt, die Ehe mit seiner ersten Frau zu beenden.
Aber auch in der Umgebung des Königs finden sich welche: Seine eigene Schwester
Margaret, die in erster Ehe mit dem König von Schottland verheiratet war, ließ
sich von ihrem zweiten Mann scheiden und heiratete ein drittes Mal. Und der
gute Freund des Königs, Charles Brandon, der jetzt mit Henrys jüngster
Schwester Mary verheiratet ist, ließ eine frühere Verbindung unter Umständen
aufheben, die einer genauen Betrachtung kaum standhielten.
    Dagegen steht allerdings die
Tatsache, dass es nicht Sache der Kirche ist, bestehende Ehen zu zerstören oder
Kinder zu Bastarden zu machen. Wenn die Dispens formal oder in irgendeiner
anderen Hinsicht fehlerhaft war, warum kann der Schaden nicht durch eine neue
behoben werden? So könnte Papst Clemens denken, sagt Wolsey.
    Als er das sagt, brüllt der
König. Er kann das ignorieren, das Brüllen; man gewöhnt sich, und er
beobachtet, wie sich der Kardinal benimmt, als der Sturm über ihm losbricht;
mit einem verhaltenen Lächeln, voller Bedauern wartet er höflich auf die Ruhe,
die folgen muss. Aber Wolsey wird langsam nervös, er wartet darauf, dass
Boleyns Tochter - nicht die, die leicht im Arm liegt, sondern das jüngere
Mädchen, das flachbrüstige - aufhört, sich zu zieren, und den König
zufriedenstellt. Wenn sie das täte, würde der König das Leben leichter nehmen
und weniger über sein Gewissen reden; wie könnte er das auch, mitten in einer
Liebesaffäre? Aber einige Leute vermuten, dass sie mit dem König schachert;
einige sagen, dass sie die neue Frau werden will; was lachhaft ist, sagt
Wolsey, aber andererseits ist der König verliebt, und vielleicht widerspricht
er ihr deshalb nicht, nicht in ihrer Gegenwart. Er hat den Kardinal auf den
Smaragdring aufmerksam gemacht, den Lady Anne inzwischen trägt, und hat ihm
Herkunft und Preis genannt. Der Kardinal war schockiert.
    Nach dem Debakel mit Harry
Percy hatte der Kardinal Anne nach Hever in das Haus ihrer Familie schicken
lassen, aber irgendwie hat sie sich wieder bei Hofe eingeschlichen und sich
unter die Damen der Königin gemischt, und jetzt weiß er nie, wo sie gerade ist
und ob Henry sich seiner Kontrolle entzieht, weil er ihr durchs Land nachjagt.
Er erwägt, ihren Vater, Sir Thomas, herzurufen und ihm noch einmal die Leviten
zu lesen, aber - selbst wenn er das alte Gerücht über Henry und Lady Boleyn
unerwähnt lässt - wie soll man einem Mann erklären, dass seine erste Tochter
eine Hure war und seine zweite deshalb auch eine werden sollte: indem man
andeutet, dass es eine Art Familienbetrieb ist, den sie da betreiben?
    »Boleyn ist nicht reich«, sagt
er. »Ich würde ihn kommen lassen. Rechnen Sie es ihm vor. Die Habenseite. Die
Sollseite.«
    »Ah ja«, sagt der Kardinal,
»Sie sind natürlich der Meister der praktischen Lösungen, ich hingegen muss es
als Mann der Kirche vermeiden, offen zu empfehlen, dass sich mein Monarch
vorsätzlich auf den Pfad des Ehebruchs begibt.« Er schiebt die Schreibfedern
auf seinem Schreibtisch hin und her und ordnet einige Papiere. »Thomas, wenn
Sie jemals ... Wie soll ich mich ausdrücken?«
    Diesmal kann er sich nicht
vorstellen, was der Kardinal sagen will.
    »Sollten Sie dem König jemals
nahestehen, sollten Sie eine Stellung innehaben, vielleicht, nachdem ich
gegangen bin ...« Es ist nicht leicht, von der Nicht-Existenz zu sprechen,
selbst wenn man sein Grabmal bereits in Auftrag gegeben hat. Wolsey kann sich
keine Welt ohne Wolsey vorstellen. »Nun ja. Sie wissen, ich würde es
befürworten, wenn Sie dem König dienen, und ich würde Sie niemals davon
abhalten, aber die Schwierigkeit ist...«
    Putney, meint er. Eine
unerbittliche Tatsache. Und weil er kein Mann der Kirche ist, hat er keine
geistlichen Titel, um sie abzumildern, wie sie die unerbittliche Tatsache von
Ipswich abgemildert haben.
    »Ich frage mich«, sagt Wolsey,
»ob Sie Geduld mit unserem Herrscher hätten. Wenn es Mitternacht ist, und er
noch wach ist, mit

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