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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Kopf; sie kämmte das blutige Haar.
    Wenn er nach diesem Tag - dem
Blasiustag, an dem drei Sonnen aufgingen - sein Schwert berührte, berührte er
es, um zu siegen. Drei Monate später war er in London, und er war König. Aber
in die Zukunft blickte er nie wieder, nicht so deutlich wie in jenem Jahr.
Blind stolperte er durch seine Zeit als König wie durch einen Nebel. Er war
ganz und gar das Geschöpf von Astrologen, heiligen Männern und Fantasten. Er
heiratete nicht, wie er sollte, um diplomatischer Vorteile willen, sondern verfing
sich in einem Netz aus halb gegebenen, halb gebrochenen Versprechungen, die er
einer unbekannten Anzahl von Frauen machte. Eine von ihnen war eine Talbot, das
Mädchen hieß Eleanor, und was war so besonders an ihr? Es hieß, sie stamme in
der weiblichen Linie von einer Frau ab, die ein Schwan war. Und warum schenkte
er seine Zuneigung schließlich der Witwe eines lancastrischen Ritters? Weil
ihre kühle blonde Schönheit seinen Puls schneller schlagen ließ, wie manche
Leute glaubten? Nicht ganz; vielmehr war es ihre Behauptung, sie stamme von Melusine
ab, der Schlangenfrau, die auf alten Pergamenten zu sehen ist, wie sie ihren Leib
um den Baum des Wissens schlingt und über die Vereinigung von Mond und Sonne
wacht. Melusine führte ein vorgetäuschtes Leben als normale Prinzessin, als
Sterbliche, aber eines Tages sah ihr Mann sie nackt und erblickte ihren
Schlangenleib. Als sie seinem Griff entglitt, sagte sie voraus, dass ihre
Kinder eine ewig währende Dynastie begründen würden: Macht ohne Grenzen,
garantiert vom Teufel. Sie glitt davon, sagt der Kardinal, und niemand sah sie
jemals wieder.
    Einige Kerzen sind
ausgegangen, aber Wolsey verlangt nicht nach mehr Licht. »Sie sehen also«, sagt
er, »dass die Berater König Edwards planten, ihn mit einer französischen
Prinzessin zu verheiraten. Wie es ... wie es meine Absicht war. Und nun schauen
Sie, was stattdessen geschehen ist. Schauen Sie, wie er gewählt hat.«
    »Wie viel Zeit ist
verstrichen? Seit Melusine?«
    Es ist spät; es herrscht Ruhe
im großen Palast von York Place, die Stadt schläft; der Fluss kriecht durch
seine Kanäle, verschlammt seine Ufer. Bei solchen Erscheinungen, sagt der Kardinal,
gibt es kein Zeitmaß; diese Geister entgleiten unseren Händen und winden sich
durch die Zeitalter: schlangenförmig, wandelbar, listig.
    »Aber die Frau, die König
Edward heiratete - brachte sie nicht einen Anspruch auf den Thron von Kastilien
mit in die Ehe? Sehr alt, sehr undurchsichtig?«
    Der Kardinal nickt. »Das war
die Bedeutung der drei Sonnen. Der Thron von England, der Thron von Frankreich,
der Thron von Kastilien. Als  unser gegenwärtiger König Katherine heiratete,
verlieh das seinen alten Ansprüchen nur noch mehr Nachdruck. Nicht dass es jemand
wagen würde, sich bei Königin Isabella und König Ferdinand so auszudrücken,
vermute ich. Aber es ist nicht verkehrt, sich daran zu erinnern und auch von
Zeit zu Zeit zu erwähnen, dass unser König Herrscher von drei Königreichen
ist. Von Rechts wegen.«
    »Ihrem Bericht zufolge,
Mylord, köpfte der Plantagenet-Großvater unseres Königs seinen
Tudor-Urgroßvater.«
    »Etwas, das man wissen, aber
nicht erwähnen sollte.«
    »Und die Boleyns? Ich dachte,
es wären Kaufleute; hätte ich wissen sollen, dass sie Giftzähne oder Flügel
haben?«
    »Sie machen sich über mich
lustig, Master Cromwell.«
    »Keinesfalls. Aber ich brauche
alle Informationen, um diese Situation im Auge behalten zu können, wenn Sie
fort sind.«
    Der Kardinal spricht daraufhin
über das Töten. Er spricht über die Sünde: über das, was gesühnt werden muss.
Er spricht über den sechsten König Henry, der im Tower ermordet wurde; über
König Richard, der im Zeichen des Skorpions geboren wurde, dem Zeichen geheimer
Machenschaften, der Leiden und des Lasters. In Bosworth, wo der Skorpion starb,
wurden schlechte Entscheidungen getroffen; der Herzog von Norfolk kämpfte auf
der Verliererseite, und seinen Erben wurde ihr Herzogtum genommen. Sie mussten
hart arbeiten, lange und hart, um es wiederzubekommen. Sie wundern sich
vielleicht, sagt er, warum der heutige Norfolk manchmal zittert, wenn der König
böse ist? Der Grund ist, dass er glaubt, die Laune eines wütenden Mannes wird
ihm alles nehmen, was er besitzt.
    Der Kardinal bemerkt, dass
sein Mann sich das einprägt; und er spricht von den vielen klappernden Knochen
unter dem Pflaster des Towers, von den Knochen, die in Treppen eingemauert

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