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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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deutschen Enklave, dem Steelyard, mit einem Mann aus Rostock vereinbart, der einen
Freund aus Stettin mitgebracht hat, der bereit ist, ihm etwas Polnisch beizubringen.
    Es ist schlimmer als
Walisisch, sagt er am Ende des Abends. Ich werde viel üben müssen. Kommen Sie
in mein Haus, sagt er. Geben Sie uns vorher Bescheid und wir legen Heringe ein;
ansonsten müssen Sie mit dem vorlieb nehmen, was da ist.
     
    Etwas stimmt nicht, wenn du in
der Dämmerung nach Hause kommst und trotzdem Fackeln brennen. Die Luft ist süß,
und du fühlst dich so wohl beim Hineingehen, du fühlst dich jung, unverwundet.
Dann siehst du die bestürzten Gesichter; sie wenden sich bei deinem Anblick
ab.
    Mercy kommt und bleibt vor ihm
stehen, aber ihr Name verheißt keine Gnade. »Sag es«, bittet er sie.
    Sie sieht weg, als sie sagt:
Es tut mir so leid.
    Er glaubt, es ist Gregory; er
glaubt, sein Sohn ist tot. Dann ahnt er es, denn wo ist Liz? Er bittet sie:
»Sag es.«
    »Wir haben nach dir gesucht.
Wir haben gesagt: Rafe, geh und sieh nach, ob er in Gray's Inn ist, hol ihn,
aber die Pförtner behaupteten, sie hätten dich den ganzen Tag nicht gesehen.
Rafe sagte: Glaubt mir, ich werde ihn finden, ich suche die ganze Stadt ab.
Aber keine Spur von dir.«
    Er erinnert sich: die feuchten
Laken, ihre feuchte Stirn. Liz, denkt er, hast du nicht gekämpft? Wenn ich
deinen Tod hätte kommen sehen, hätte ich ihn gepackt und ihm seinen Totenkopf
eingeschlagen; ich hätte ihn an der Wand gekreuzigt.
    Die kleinen Mädchen sind noch
wach, obwohl jemand sie in ihre Nachthemden gesteckt hat, als wäre es ein ganz
normaler Abend. Ihre Beine und Füße sind nackt und ihre Nachtmützen, runde
Spitzenhauben, die ihre Mutter gemacht hat, sind von einer resoluten Hand
unter ihrem Kinn gebunden worden. Annes Gesicht ist versteinert. Sie hält
Grace' Hand fest in ihrer eigenen. Grace sieht zu ihm auf, unsicher. Sie sieht
ihn fast nie; warum ist er hier? Aber sie vertraut ihm und lässt sich, ohne zu
protestieren, von ihm hochheben und in die Arme nehmen. Sie sinkt an seiner
Schulter sofort in den Schlaf, ihre Arme sind um seinen Hals geschlungen, ihr
Scheitel liegt unter seinem Kinn. »Anne«, sagt er, »wir müssen Grace jetzt zu
Bett bringen, weil sie so klein ist. Ich weiß, dass du noch gar nicht müde
bist, aber du musst dich zu ihr legen, weil sie vielleicht aufwacht und
friert.«
    »Ich friere vielleicht«, sagt
Anne.
    Mercy geht ihm voran zum
Zimmer der Kinder. Er legt Grace hin, ohne dass sie aufwacht. Anne weint, aber
sie weint stumm. Ich bleibe bei ihnen, sagt Mercy, aber er sagt: Ich bleibe. Er
wartet, bis Annes Tränen aufhören zu fließen und ihre Hand in seiner schlaff
wird.
    Solche Dinge passieren; aber
nicht uns.
    »Jetzt lass mich Liz sehen«,
sagt er.
    Der Raum — der heute Morgen
nur ihr Schlafzimmer war - ist erfüllt vom Duft der Kräuter, die gegen die
Ansteckungsgefahr verbrannt werden. Sie haben Kerzen neben ihrem Kopf und den
Füßen angezündet. Sie haben ihr Kinn mit Leinen hochgebunden, sodass sie schon
nicht mehr wie sie selbst aussieht. Sie sieht aus wie die Toten; sie sieht
furchtlos aus und als würde sie dich durchschauen; sie sieht ausdrucksloser
und toter aus als die Menschen mit herausquellenden Eingeweiden, die er auf
Schlachtfeldern gesehen hat.
     
    Er geht nach unten, um zu
hören, wie es passiert ist; um sich um seine Leute zu kümmern. Um zehn an
diesem Morgen, sagt Mercy, hat sie sich hingesetzt: Jesus, ich bin so müde.
Mitten bei der Arbeit. Das sieht mir gar nicht ähnlich, sagte sie. Ich sagte:
Nein, das sieht dir nicht ähnlich, Liz. Ich legte meine Hand an ihre Stirn und
sagte: Liz, mein Liebling ... Ich meinte zu ihr: Leg dich hin, ins Bett mit
dir, du musst das ausschwitzen. Sie sagte: Nein, gib mir ein paar Minuten, mir
ist schwindlig, vielleicht muss ich etwas essen, aber als wir uns an den Tisch
setzten, schob sie ihr Essen zur Seite ...
    Es wäre ihm lieber, wenn sie
ihren Bericht abkürzen würde, aber er versteht ihr Bedürfnis, alles genau zu
erzählen, jeden einzelnen Augenblick, alles laut auszusprechen. Es ist wie ein
Paket aus Worten, das sie schnürt, um es ihm zu geben: Das gehört jetzt dir.
    Am Mittag legte Elizabeth sich
hin. Sie zitterte, obwohl ihre Haut brannte. Sie sagte: Ist Rafe im Haus? Sag
ihm, er soll losgehen und Thomas suchen. Und Rafe ging los, jede Menge Leute
machten sich auf den Weg, und sie haben dich nicht gefunden.
    Um halb eins sagte sie: Sag
Thomas, er soll sich um die

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