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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Kinder kümmern. Und was dann? Sie klagte über
Kopfschmerzen. Nichts für mich, keine Botschaft? Nein; sie sagte, sie sei
durstig. Mehr nicht. Aber Liz hat nie viel gesagt.
    Um ein Uhr rief sie nach einem
Priester. Um zwei legte sie die Beichte ab. Sie sagte, sie habe einmal eine
Schlange in die Hand genommen, in Italien. Der Priester sagte, es sei das
Fieber, das aus ihr spreche. Er erteilte ihr die Absolution. Und es konnte ihm
nicht schnell genug gehen, sagt Mercy, er konnte nicht schnell genug aus dem
Haus kommen, so viel Angst hatte er, dass er sich anstecken und sterben würde.
    Um drei Uhr nachmittags
verschlechterte sich ihr Zustand. Um vier Uhr legte sie die Last dieses Lebens
ab.
    Ich vermute, sagt er, dass sie
bei ihrem ersten Mann begraben werden will.
    Warum denkst du das?
    Weil ich später gekommen bin.
Es hat keinen Sinn, sich über Trauerkleider, Fürbitter, Kerzen Gedanken zu
machen. Liz muss schnell begraben werden, wie alle anderen, die die Krankheit
erfasst hat. Er wird nicht nach Gregory schicken oder die Familie zusammenrufen
können. Laut Vorschrift muss der Haushalt als Zeichen der Seuche ein
Strohbündel an die Tür hängen und dann vierzig Tage den Zugang beschränken und
so wenig wie möglich ausgehen.
    Mercy kommt herein und sagt:
Ein Fieber, es könnte jedes Fieber sein, wir brauchen das Schweißfieber nicht
zuzugeben ... Wenn wir alle zu Hause blieben, käme London zum Stillstand.
    »Nein«, sagt er. »Wir müssen
es tun. Mylord Kardinal hat diese Regeln festgelegt, und es wäre nicht richtig,
wenn ich sie übergehen würde.«
    Mercy sagt: Wo warst du
überhaupt? Er sieht sie an; er sagt: Kennst du den kleinen Bilney? Ich war bei
ihm; ich habe ihn gewarnt und gesagt, er würde ins Feuer springen.
    Und später? Später habe ich
Polnisch gelernt.
    Natürlich. Das hätte ich mir
denken können, sagt sie.
    Sie erwartet nicht, einen Sinn
darin erkennen zu können. Er erwartet nicht, irgendwann einen besseren Sinn
darin zu erkennen als jetzt. Er kann das ganze Neue Testament auswendig, aber
finde mal einen Text: Finde einen Text für das hier.
    Später, wenn er an den Morgen
zurückdenkt, wird er noch einmal das Leuchten ihrer weißen Haube einfangen
wollen: obwohl niemand da war, als er sich umdrehte. Er würde sich gerne
vorstellen, wie sie in der Tür steht, hinter sich das geschäftige Treiben und
die Wärme des Haushalts, und dann sagt sie: »Sag mir, wann du nach Hause
kommst.«
    Aber es gelingt ihm nur, sich
vorzustellen, wie sie allein in der Tür steht; und hinter ihr ist Ödnis und
bläuliches Licht.
    Er denkt an ihre
Hochzeitsnacht; ihr Kleid aus Taft, das bis zum Boden reichte, die kleine
wachsame Geste, mit der sie ihre Ellenbogen umklammerte. Am nächsten Tag sagte
sie: »Das wäre also in Ordnung.«
    Und lächelte. Das ist alles,
was sie ihm gelassen hat. Liz, die nie viel gesagt hat.
     
    Einen Monat bleibt er zu
Hause: Er liest. Er liest sein Neues Testament, aber er weiß, was darin steht.
Er liest Petrarca, den er liebt. Er liest, wie Petrarca den Ärzten getrotzt
hat: Als  sie ihn aufgegeben und dem Fieber überlassen hatten, lebte er noch,
und als sie am Morgen zurückkehrten, saß er da und schrieb. Danach traute der
Dichter keinem Arzt mehr; aber Liz hat ihn zu schnell verlassen, um überhaupt
ärztlichen Rat einholen zu können, guten oder schlechten, oder den des Apothekers
mit seinem Sennesmus, seiner Galgantwurzel, seinem Wermut und den mit Gebeten
bedruckten Karten.
    Er besitzt Niccoló
Machiavellis Buch De Principatibus; es ist eine lateinische Ausgabe, die schlampig
gedruckt wurde in Neapel und die anscheinend durch viele Hände gegangen ist. Er
denkt an Niccoló auf dem Schlachtfeld; an Niccoló in der Folterkammer. Er hat
das Gefühl, selbst in der Folterkammer zu sein, aber er weiß, dass er eines
Tages den Ausgang finden wird, weil er es ist, der den Schlüssel hat. Jemand
sagt zu ihm: Was steht in diesem kleinen Buch?, und er sagt: ein paar
Aphorismen, ein paar Binsenweisheiten, nichts, was wir nicht vorher wussten.
    Wann immer er von seinem Buch
aufsieht, ist Rafe Sadler da. Rafe ist zierlich und klein, und er spielt ein
Spiel mit Richard und den anderen, nämlich so zu tun, als sähe er ihn nicht,
und zu sagen: »Wo ist eigentlich Rafe?« Über diesen Witz freuen sie sich so,
als wären sie ein Haufen Dreijähriger. Rafes Augen sind blau, sein Haar ist
mittelbraun, und es ist unmöglich, ihn für einen Cromwell zu halten. Aber
trotzdem macht er dem Mann,

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