Mantel, Hilary
so: Der König will dem Papst mit meiner Herabsetzung eine Lektion
erteilen. Er will ganz deutlich machen: Ich als König von England bin Herr in
meinem eigenen Haus. Aber ist er das? Oder ist es Lady Anne oder Thomas Boleyn?
Eine Frage, die wir besser nicht stellen sollten, nicht außerhalb dieses
Raumes.«
Ziel der Schlacht ist nun, den
König alleine zu sprechen, hinter seine Absichten zu kommen, wenn er sie denn
selbst kennt, und ein Geschäft auszuhandeln. Der Kardinal braucht dringend
Bargeld, das erste Gefecht. Tag für Tag wartet er auf eine Audienz. Der König
streckt die Hand aus, nimmt ihm die Briefe ab, die er hinhält, wirft einen
Blick auf das Siegel des Kardinals. Er sieht ihn nicht an, sagt geistesabwesend
»Danke«, mehr nicht. An einem Tag sieht er ihn tatsächlich an und sagt: »Master
Cromwell, ja ... ich kann nicht über den Kardinal sprechen.« Und als er den
Mund öffnet, um etwas zu sagen, sagt der König: »Verstehen Sie nicht? Ich kann
nicht über ihn sprechen.« Sein Ton ist liebenswürdig, verwundert. »Ein
andermal«, sagt er. »Ich schicke nach Ihnen. Ich verspreche es.«
Als der Kardinal ihn fragt:
»Wie sah der König heute aus?«, sagt er: Er sieht aus, als könne er nicht
schlafen.
Der Kardinal lacht. »Wenn er
nicht schlafen kann, dann weil er nicht auf die Jagd gehen kann. Der vereiste
Boden ist zu hart für die Pfoten der Jagdhunde, sie können nicht nach draußen.
Es ist der Mangel an frischer Luft, Thomas. Es ist nicht sein Gewissen.«
Später wird er sich an die
Nacht Ende Dezember erinnern, als er den Kardinal vorfand, wie er der Musik
lauschte. Er wird sich die Episode durch den Kopf gehen lassen, mehrfach, immer
wieder.
Denn als er den Kardinal
verlässt und wieder an den Weg denkt, an die Nacht, hört er hinter einer halb
geöffneten Tür die Stimme eines Jungen: es ist Mark, der Lautenspieler. »...
wegen meines Talents, sagt er, will er mich zu Lady Anne schicken. Zum Glück,
denn welchen Sinn hat es, hier zu sein, wenn der König den alten Knaben
jederzeit köpfen lassen kann? Ich finde, das sollte er auch tun, der Kardinal ist
dermaßen hochmütig. Heute hatte er das erste Mal ein Lob für mich übrig.«
Pause. Jemand spricht
gedämpft; er kann nicht erkennen, wer es ist. Dann der Junge: »Aber sicher, der
Anwalt wird mit ihm untergehen.
Ich sage Anwalt, aber wer ist
er eigentlich? Keiner weiß das. Es heißt, er hat mit seinen eigenen Händen
Männer getötet und nie die Beichte darüber abgelegt. Aber diese harten Männer,
die weinen immer, wenn sie den Henker sehen.«
Er hat keinen Zweifel, dass es
seine Hinrichtung ist, der Mark freudig entgegensieht. Hinter der Wand redet
der Junge weiter: »Wenn ich erst bei Lady Anne bin, falle ich ihr sicher auf
und sie macht mir Geschenke.« Ein Kichern. »Und betrachtet mich mit
Wohlwollen. Meinst du nicht? Wer weiß, wem sie sich zuwendet, solange sie sich
dem König immer noch verweigert?«
Pause. Dann Mark: »Sie ist
keine Jungfrau. Die nicht.«
Ein faszinierendes Gespräch:
Dienstbotengeschwätz. Wieder eine gedämpfte Antwort, und dann Mark: »Glaubst
du etwa, man könne am französischen Hof sein und als Jungfrau zurückkommen?
Anders als ihre Schwester? Und Mary hat jeden rangelassen.«
Aber das ist nichts. Er ist
enttäuscht. Ich habe auf Einzelheiten gehofft; das sind nur Gerüchte. Und
trotzdem zögert er, bleibt noch stehen.
»Außerdem hat Tom Wyatt sie
gehabt, in Kent wissen das alle. Ich war mit dem Kardinal in Penshurst, du
weißt schon, das Schloss ist in der Nähe von Hever, wo die Familie der Lady
wohnt, und das Haus der Wyatts ist nur einen kurzen Ritt entfernt.«
Zeugen? Daten?
Aber dann kommt von der
unsichtbaren Person ein »Pst!« Wieder ein leises Kichern.
Damit kann man nichts
anfangen. Man kann es sich nur merken. Sie unterhalten sich auf Flämisch: der
Sprache des Landes, in dem Mark geboren wurde.
Weihnachten kommt, und der
König feiert es mit Königin Katherine in Greenwich. Anne ist in York Place; der
König kann flussaufwärts fahren, um sie zu sehen. Es ist anstrengend mit ihr,
sagen die Frauen; die Besuche des Königs sind kurz, selten und diskret.
In Esher legt sich der
Kardinal ins Bett. Früher hätte er das nie getan, aber jetzt sieht er so krank
aus, dass es wirklich geboten scheint. Er sagt: »Solange der König und Lady
Anne Küsse zu Neujahr austauschen, wird nichts passieren. Bis Dreikönig sind
wir vor Übergriffen sicher.« Er dreht den Kopf, legt ihn auf die
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