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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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züngeln
und flackern, und Gregory sieht in das Feuer. »Erinnerst du dich an das Jahr,
als mein Gesicht schwarz angemalt war und ich in ein schwarzes Kalbsfell
gehüllt war? Als  ich ein Teufel im Weihnachtsspiel war?«
    »Ja.« Seine Gesichtszüge
entspannen sich. »Ich erinnere mich.«
    Anne wollte schwarz angemalt
werden, aber ihre Mutter hatte gesagt, das schicke sich nicht für ein kleines
Mädchen. Er wünschte, er hätte gesagt, dass Anne an der Reihe sei und einen
Engel im Gemeindespiel darstellen solle — selbst wenn sie mit ihren dunklen
Haaren eine von den gestrickten gelben Perücken hätte tragen müssen, die
ständig zur Seite oder über die Augen der Kinder rutschten.
    In dem Jahr, als Grace einen
Engel spielte, trug sie Flügel aus Pfauenfedern. Er selbst war auf die Idee
gekommen. Die anderen Mädchen sahen aus wie schäbige Gänsekreaturen, und ihre
Flügel fielen ab, wenn sie sich an den Ecken des Stalles verfingen. Grace aber
glitzerte, Silberfäden waren in ihr Haar geflochten, über ihren Schultern
breitete sich eine zitternde Pracht aus, und wenn sie atmete, knisterte und
duftete die Luft. Lizzie sagte: Thomas, deine Ideen sind wirklich unerschöpflich.
Sie hat die besten Flügel, die die Stadt je gesehen hat.
    Gregory steht auf; er kommt,
um ihm einen Gutenachtkuss zu geben. Einen Augenblick lehnt sich sein Sohn an
ihn wie ein Kind, oder als wären die Vergangenheit, die Bilder im Feuer,
Ausgeburt eines Rausches.
    Sobald der Junge zu Bett
gegangen ist, zieht er seine Papiere aus dem ordentlichen Stapel, den Gregory
gemacht hat. Er faltet sie neu. Er sortiert sie so, dass sein Vermerk sichtbar
ist und sie fertig zum Ablegen sind. Er denkt an den Evil May Day. Gregory hat nicht gefragt:
Warum gab es Krawalle? Die Ausschreitungen richteten sich gegen Ausländer. Er
selbst war noch nicht lange wieder zu Hause.
     
    Als das Jahr 1530 anbricht,
gibt er kein Erscheinungsfest, denn eine Menge Leute würden sich angesichts
der Schande des Kardinals gezwungen sehen, seine Einladung abzulehnen.
Stattdessen nimmt er die jungen Männer mit nach Gray's Inn zu den
Dreikönigsfeiern. Er bereut es beinahe sofort, denn dieses Jahr sind sie
lauter und obszöner als je zuvor.
    Die Jurastudenten führen ein
Stück über den Kardinal auf, in dem er aus dem Palast in York Place zu seiner
Barke auf der Themse flüchtet. Einige Studenten schütteln gefärbte Laken, die
den Fluss darstellen sollen; dann kommen andere mit Ledereimern angelaufen und
schütten Wasser darüber. Als der Kardinal auf sein Schiff klettert, ertönen
Jagdrufe und ein debiler Trottel rennt mit zwei Otterhunden an der Leine in die
Halle. Andere kommen mit Netzen und Angelruten, um den Kardinal wieder ans Ufer
zu verfrachten.
    Die nächste Szene zeigt den
Kardinal in Putney, wie er auf der Flucht zu seinem Unterschlupf in Esher durch
den Matsch stapft. Die Studen ten grölen, als der Kardinal anfängt zu weinen und
seine Hände zum Gebet in die Höhe hebt. Wer von den Zeugen, überlegt er, konnte
den Mund nicht halten und hat den Stoff für diese Posse geliefert? Wenn er es
wüsste oder erriete, umso schlimmer für den Verantwortlichen.
    Der Kardinal liegt auf dem Rücken,
ein purpurroter Berg; er fuchtelt mit den Händen; er bietet jedem sein Bistum
Winchester an, der es schafft, ihn wieder auf sein Maultier zu bekommen. Unter
einem mit Eselsfellen behängten Rahmen spielen ein paar Studenten das Maultier:
Es dreht sich um, gibt Scherze auf Lateinisch von sich und furzt dem Kardinal
ins Gesicht. Sie bringen eine Menge Wortspiele über Bischofsstäbe und
Bischofsständer, die als witzig durchgingen, wenn die Darsteller Straßenkehrer
wären, aber Jurastudenten, denkt er, sollten es besser können. Verärgert erhebt
er sich von seinem Platz, und sein Haushalt hat keine andere Wahl, als
ebenfalls aufzustehen und mit ihm hinauszugehen.
    Er bleibt stehen, um mit
einigen Richtern zu reden: Wer hat erlaubt, dass das hier stattfindet? Der
Kardinal von York ist ein kranker Mann, er könnte sterben, wie stehen Sie und
Ihre Studenten dann vor Ihrem Gott da? Welche Art von jungen Männern züchten
Sie hier heran? Sie wagen es, einen großen Mann anzugreifen, den das Unglück
getroffen hat, und noch vor wenigen Wochen hätten Sie um seine Gunst gebettelt.
    Die Richter sind einsichtig
und entschuldigen sich, aber ihre Stimmen verlieren sich in dem schallenden
Gelächter, das aus dem Saal dringt. Die jungen Männer seines Haushalts zögern,
werfen Blicke

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