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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Kissen. Sagt
voller Heftigkeit: »Jesus Christus, Cromwell. Gehen Sie nach Hause.«
    Das Haus in Austin Friars ist
mit Kränzen und Bändern geschmückt: Stechpalme und Efeu, Lorbeer und Eibe. In
der Küche geht es rege zu, um die Lebenden zu beköstigen, aber die üblichen
Lieder und Weihnachtsspiele werden dieses Jahr ausgelassen. Kein Jahr hat
bisher so viel Zerstörung gebracht. Seine Schwester Kat und ihr Mann Morgan Williams
wurden so schnell aus dem Leben gerissen, wie ihm seine Töchter genommen
wurden; den einen Tag liefen sie noch herum und redeten, am nächsten waren sie
bereits kalt wie Stein und wurden in ihre Gräber an der Themse geworfen,
vergraben jenseits der Reichweite der Flut, jenseits des Anblicks und des
Geruchs des Flusses; jetzt hören sie den Klang von Putneys gesprungener
Kirchenglocke nicht mehr, sind unempfänglich für den Geruch von nasser Tinte,
von Hopfen, gemälzter Gerste und den immer noch tierischen Gestank von
Wollballen; kein Herbstaroma von Kiefernharz und Apfelkerzen mehr, keine
Küchlein mehr für Allerseelen. Am Ende des Jahres kommen zwei Waisenkinder in
sein Haus, Richard und der kleine Walter. Morgan Williams - er war ein großer
Schwätzer, aber klug auf seine Weise, und er hat hart für seine Familie
gearbeitet. Und Kat - nun, in letzter Zeit verstand sie ihren Bruder ungefähr
so gut wie den Lauf der Sterne: »Du bist unberechenbar für mich, Thomas«,
sagte sie immer, was natürlich ganz und gar seine Schuld war, denn wer außer
ihm hatte sie gelehrt, an den Fingern abzuzählen und die Krämerrechnungen zu
entziffern?
    Wenn er sich selbst einen
guten Rat zu Weihnachten geben müsste, würde er sagen: Verlass den Kardinal
jetzt oder du sitzt bald wieder auf der Straße und dir bleibt nur noch der
Drei-Karten-Trick. Aber er gibt bloß Personen Ratschläge, die geneigt sind, sie
auch zu befolgen.
    Sie haben einen großen
vergoldeten Stern in Austin Friars, den sie am Sylvesterabend in der großen
Halle aufhängen. Eine Woche lang leuchtet er, um ihre Gäste zum Dreikönigsfest
willkommen zu heißen. Ab Sommer überlegten er und Liz sich Kostüme für diesen
Tag, horteten fleißig Fetzen und Streifen jedes exotischen neuen Stoffes, den
sie sahen; von Oktober an machte sich Liz dann heimlich ans Nähen und
verschönerte die Kostüme des letzten Jahres, indem sie leuchtende neue Streifen
aufnähte, eine Schulter mit verschiedenen Flicken verzierte oder einen Saum neu
besetzte. Jedes Jahr machte sie fantastische neue Kronen. Seine Aufgabe war
es, sich die Geschenke auszudenken, die die Könige in ihren Kästen brachten.
Einmal hatte ein König seine Schatulle vor Schreck fallen lassen, als das
Geschenk zu singen begann.
    Dieses Jahr bringt es niemand
übers Herz, den Stern aufzuhängen, aber er besucht ihn in seiner lichtlosen
Abstellkammer. Er zieht die Segeltuchhüllen ab, die seine Strahlen schützen,
und sieht nach, ob sie auch nicht angeschlagen oder ausgeblichen sind. Es wird
bessere Jahre geben, in denen sie ihn wieder aufhängen, aber er kann sich das
nicht vorstellen. Vorsichtig streift er die Hüllen wieder über, freut sich darüber,
wie raffiniert sie gefertigt sind und wie genau sie passen. Die Gewänder der
drei Könige liegen in einer Truhe, wie auch die Schaffelle für die Kinder, die
Schafe darstellen. Die Hirtenstäbe der Schafhirten lehnen in einer Ecke; an
einem Haken hängen Engelsflügel. Er berührt sie. Seine Finger werden staubig.
Er stellt seine Kerze weg, damit nichts passiert, dann nimmt er die Flügel vom
Haken und schüttelt sie sanft aus. Sie machen ein leises zischendes Geräusch,
und ein schwacher Duft nach Ambra durchzieht die Luft. Er hängt sie zurück an
den Haken, streicht mit der Handfläche darüber, um sie zu beruhigen und ihren
Schauder zu stillen. Er nimmt die Kerze in die Hand. Er geht hinaus und
schließt die Tür. Er löscht die Flamme mit den Fingern, schließt ab und gibt
Johane den Schlüssel.
    Er sagt zu ihr: »Ich wünschte,
wir hätten ein Baby hier. Es scheint so lange her zu sein, dass ein Baby im
Haus war.«
    »Sieh nicht mich an«, sagt
Johane.
    Das tut er natürlich. Er sagt:
»Erfüllt John Williamson seine Pflicht dieser Tage nicht?«
    Sie sagt: »Seine Pflicht ist
nicht gerade mein Vergnügen.«
    Beim Weggehen denkt er, das
ist ein Gespräch, das ich nicht hätte führen sollen.
    Am Neujahrstag sitzt er an
seinem Schreibtisch, als die Nacht hereinbricht,; er schreibt Briefe für den
Kardinal, und ab und zu geht er

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