Mantel, Hilary
»Er
wird Sie fragen, ob Sie für ihn arbeiten wollen.«
»Ja. Vielleicht nicht so
direkt.«
Er betrachtet Rafes Gesicht,
während er die Situation abwägt. Norfolk ist bereits der erste Edelmann des
Reiches - es sei denn, man zählt den Bastard des Königs mit. »Ich habe ihn
Ihres Respekts versichert«, sagt Rafe, »Ihrer ... Ihrer Verehrung, Ihres
Wunsches, zu seiner ... äh ...«
»Verfügung zu stehen?«
»Mehr oder weniger.«
»Und was hat er gesagt?«
»Er sagte: Hmm.«
Er lacht. »In diesem Tonfall?«
»In diesem Tonfall.«
»Und mit diesem grimmigen
Nicken?«
»Ja.«
Als o gut. Ich trockne meine
Tränen, die Tränen von Allerheiligen. Ich sitze mit dem Kardinal am Feuer in
Esher, in einem Raum mit einem rußenden Kamin. Ich sage, Mylord, glauben Sie,
ich würde Sie im Stich lassen? Ich mache den Mann ausfindig, der für Kamine und
Rauchabzüge zuständig ist. Ich erteile ihm Anweisungen. Ich reite nach London,
nach Blackfriars. Der Tag ist neblig, es ist der Hubertustag. Norfolk wartet,
um mir zu sagen, dass er mir ein guter Herr sein wird.
Der Herzog wird bald sechzig,
macht aber keine Konzessionen an sein Alter. Er hat ein hartes Gesicht und
scharfe Augen, ist so mager wie ein abgenagter Knochen und so kalt wie der Kopf
einer Axt; es scheint, als wären seine Gelenke mit biegsamen Kettengliedern
verbunden, und in der Tat klappert er ein wenig, wenn er sich bewegt, denn in
seinen Kleidern verbergen sich Reliquien: In winzigen mit Juwelen besetzten Behältnissen
trägt er Hautfetzen und Haarschnipsel mit sich herum; Knochensplitter von
Märtyrern sind in Medaillons verborgen. »Fürbass!«, sagt er beschwörend und
»Bei allen Heiligen!«, manchmal nimmt er einen der Anhänger oder Talismane
heraus, die irgendwo an ihm baumeln, küsst sie mit Inbrunst und ruft einen
Heiligen oder Märtyrer an, der verhindern soll, dass ihn sein gegenwärtiger
Zorn überwältigt. »Sankt Judas, gib mir Geduld!«, ruft er; vermutlich
verwechselt er ihn mit Hiob, von dem er eine Geschichte gehört hat, als er ein
kleiner Junge war und zu Füßen eines Priesters saß. Es ist schwer, sich den
Herzog als kleinen Jungen vorzustellen oder überhaupt jünger oder anders als
die Person, die er jetzt ist. Er ist der Meinung, die Bibel sei ein Buch, das
Laien nicht benötigen, versteht aber, dass Priester eine gewisse Verwendung
dafür finden. Das Lesen von Büchern hält er ohnehin für eine Affektiertheit und
wünschte, es gebe nicht so viel davon bei Hofe. Seine Nichte, Anne Boleyn,
liest dauernd, und das ist vielleicht auch der Grund, warum sie mit
achtundzwanzig noch unverheiratet ist. Er sieht nicht ein, dass ein Gentleman
sich damit befassen sollte, Briefe zu schreiben; dafür gibt es Schreiber.
Jetzt fixiert er ihn mit roten
und feurigen Augen. »Cromwell, ich freue mich, dass Sie Abgeordneter im
Parlament sind.«
Er neigt den Kopf. »Mylord.«
»Ich habe mich beim König für
Sie eingesetzt, und er freut sich ebenfalls. Sie werden im Unterhaus seine
Anweisungen ausführen. Und meine.«
»Werden es dieselben sein,
Mylord?«
Der Herzog macht ein finsteres
Gesicht. Er läuft auf und ab; er klappert ein wenig; endlich bricht es aus ihm
heraus: »Verdammt, Cromwell, warum sind Sie so eine ... Person! Es ist schließlich nicht so, als
könnten Sie sich das erlauben.«
Er wartet, lächelt. Er weiß,
was der Herzog meint. Er ist eine Person, hat eine Präsenz. Er weiß zwar, wie
man sich verstohlen in einen Raum schiebt, sodass man nicht gesehen wird, aber
vielleicht sind diese Tage vorbei.
»Lächeln Sie nur«, sagt der
Herzog. »Wolseys Haushalt ist eine Schlangengrube. Nicht dass ...«, er zuckt
zusammen, berührt einen Anhänger, »Gott möge verhüten, dass ich ...«
... einen Fürsten der Kirche
mit einer Schlange vergleiche. Der Herzog will das Geld des Kardinals, und er
will den Platz des Kardinals an der Seite des Königs: Aber andererseits will er
nicht in der Hölle schmoren. Er läuft durch den Raum, er schlägt die Hände
zusammen, er reibt sie, er dreht sich um. »Der König hat vor, sich mit Ihnen
auseinanderzusetzen, Master. Oh ja. Er wird Ihnen eine Unterredung gewähren,
weil er die Angelegenheiten des Kardinals zu verstehen wünscht, aber wie Sie
feststellen werden, hat er auch ein gutes Gedächtnis, das weit zurückreicht,
und er erinnert sich sehr wohl daran, Master, dass Sie schon einmal
Abgeordneter im Parlament waren und dass Sie gegen seinen Krieg waren.«
»Ich hoffe, er verfolgt
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