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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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wettergegerbten Gesicht arbeitete es. Obwohl er Chris auf die Nerven ging, tat er ihm plötzlich Leid. Nur deshalb wollte er ihm etwas Positives sagen. „Passen Sie auf. Wir machen Folgendes: Ich werde mit Ihrer Frau sprechen, ich will Ihre Kinder sehen und Ihre Wohnung, damit ich ein Bild von Ihrer Lebenssituation bekomme. Und danach lassen wir uns eine Strategie einfallen.“
    Sie einigten sich auf einen Termin in der kommenden Woche und Chris atmete erleichtert auf, als Meier endlich ging. Warum bloß war er so zappelig und schien auf glühenden Kohlen zu sitzen? Er schlug die Beine übereinander und zuckte vor Schmerz zusammen. Seine Zerrung am Knie war übel und er schwor sich, so schnell keinen Besuch mehr im Schwimmbad zu machen. Obwohl … Mareike und Markus hatten einen „supergeilen“ Tag gehabt, wie sie später ihren Eltern verkündeten. Sogar Monika ließ sich von ihrer Begeisterung anstecken, hörte dem Rapport der Zwillinge aufmerksam zu und stellte Fragen. Wolfgang dagegen nahm seine Kinder kaum zur Kenntnis und starrte nur aus dem Fenster auf die regennasse Straße.
    Auch Frauke war himmelhochjauchzend und verkündete, sie würde demnächst mit ihren beiden neuen Freunden auf die Weihnachtseisbahn am Heumarkt gehen. Ebenso viel Spaß hatte wohl Karin gehabt, die am Nachmittag noch mit den Kindern im Whirlpool herumtobte, als Chris sich schon längst erschöpft in seinen Liegestuhl verkrochen hatte.
    „Stör ich?“ Der wuschelige Kopf der Nixe steckte zwischen Tür und Rahmen.
    „Kommen Sie rein. Ich versuche nur gerade zu ergründen, ob Schwimmen als gefährliche Sportart einzustufen ist.“
    „Schwimmen?“, echote die Nixe verständnislos und kam vollends ins Zimmer. Ihr eng geschnittenes dunkles Kostüm hatte Chris heute früh einen Pfiff entlockt und auch jetzt war er irritiert, weil die Kurven seiner Mitarbeiterin all die Jahre in seiner Wahrnehmung nicht existiert hatten. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass sie nicht nur Angestellte, sondern auch Frau war.
    „Ich wollte eigentlich nur fragen, ob´s recht ist, wenn ich morgen ein paar Überstunden mache. Wir hinken noch ziemlich hinterher.“
    Wieso ausgerechnet morgen? Morgen … Freitag … Der zweite Freitag nach Annikas Tod. Deshalb also war er nervös.
    Zerstreut gab er seine Zustimmung. Freitag … Zwischen Claudia und Annika hatten exakt vierzehn Tage gelegen. Wenn Annikas Tod tatsächlich symbolischen Charakter hatte, und wenn ihm ein Kind nicht reichte, würde er dann im Zwei-Wochen-Rhythmus arbeiten, einfach um die Rituale einzuhalten?
    Im Vorzimmer klingelte das Telefon. Die Nixe rannte zum Apparat und meldete sich. Gleich darauf wedelte sie mit dem Hörer und rief durch die geöffnete Tür: „Ihr Herzblatt!“
    „Herzblatt, hm?“, brummte Karin, als Chris abgenommen hatte. „Nennst du mich allen Ernstes Herzblatt, wenn du über mich sprichst?“
    „Die Nixe nennt dich so“, gab er lachend zurück. „Ich sage höchstens: Karin, die Schreckliche!“
    „Klingt schon besser! — Weißt du, was morgen ist?“
    Er wurde augenblicklich ernst. „Allerdings.“
    „Und?“
    „Ich hab keine Idee“, gab Chris zu. „Absolut keine.“
    „Na denn: Willkommen im Club.“ Er hörte einen tiefen Seufzer. „Was sollen wir tun?“
    „Uns ablenken?“
    „Bei Mario?“
    „In einer Stunde, okay?“
     
    Karin stand vor der Tür des kleinen Restaurants, als Chris ziemlich außer Atem um die Ecke bog. Er war eine halbe Ewigkeit durch Sülz gekurvt, um einen Parkplatz zu finden und jetzt — wie immer — spät dran.
    Karin hatte die Hände tief in den Taschen ihrer orange-roten Daunenjacke vergraben und den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Der blaue Gehstock lehnte an der Hauswand.
    Chris zog sie an sich und küsste sie ausgiebig. „Wieso bist du nicht reingegangen?“, fragte er vorwurfsvoll. „Es ist saukalt.“
    „Weil ich genau diesen Kuss wollte und da drin sind mir zu viele Leute“, gab sie mit strahlenden Kieselaugen zurück und strich ihm über die Bartstoppeln. „Manchmal könnte ich vor Glück platzen, wenn ich dich nur ansehe“, murmelte sie dabei.
    Einen Moment lang war Chris sprachlos, rang um Fassung.
    „Stell dir die Schweinerei vor“, versetzte er schließlich trocken.
    Karin brach in schallendes Gelächter aus, nahm den Stock und wandte sich zur Tür. Aber er hielt sie am Ärmel ihrer Jacke zurück.
    „He, wolltest du damit etwa sagen, dass du mich ziemlich gern hast?“ Jetzt bloß nicht das Wort

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