Mantelkinder
halbwegs auf Kinder beziehen könnte!“
Sie verstummte abrupt, stürmte nach draußen und schlug die Tür mit einem Knall zu.
„Spinat“, sagte Hellwein nur und sah ihr hinterher.
„Was?“
„Spinat! Bei der Energie isst die garantiert Spinat. Wie Popeye der Seemann.“
„Dann nimm du auch einen Löffel voll und schaff mal den Schmitz her“, erwiderte Susanne trocken.
„Sie waren nicht im Dienst, Herr Schmitz“, sagte Susanne scharf und beugte sich über den Resopaltisch mit den Brandlöchern. „Sie hatten das ganze Wochenende frei.“
Sie sah, wie sein rechtes Augenlid plötzlich zuckte. „Herr Schmitz! Am Tag der Beerdigung ist ein kleines Mädchen verschwunden. Sie wurde erdrosselt und an einen Baum gebunden, wie Claudia. Sie war mit einem Seidenschal gefesselt!“
„Mit diesem Seidenschal!“ Breitner saß auf der Tischkante und ließ das eingeschweißte Beweisstück über das Resopal schliddern. Es blieb genau vor Schmitz liegen.
„Wo waren Sie also?“ Hellwein stand mit aufgeschlagenem Notizblock am Fenster, sein Stift klopfte ungeduldig auf das Papier.
Schmitz sah auf und blickte sie der Reihe nach an. Dann leckte er sich über die Lippen. Sein Gesicht war unter den Bartstoppeln grau geworden.
„Ich …“ Er räusperte sich. „Ich habe … eine Freundin. Wir … wir sehen uns nur selten … Deshalb war ich nicht … Außerdem … Ich war in der Kirche und hab das da schon kaum ausgehalten. Ich dachte … Die Beisetzung hätte ich nicht gepackt, ehrlich. Ich war das ganze Wochenende bei meiner Freundin.“
„Name! Adresse!“ Das Klopfen des Stifts wurde ein wenig schneller.
„Sie ist … verheiratet.“
„Oh Mann, kommen Sie uns doch nicht auf die Tour!“, blaffte Susanne über den Tisch.
Aber er blieb dabei. Seine Geliebte war angeblich die Ehefrau eines renommierten Chefarztes. Deshalb die Lüge, und deshalb würde er auch keinen Namen preisgeben. Es bedurfte einer Menge Versprechungen der Breitner, dass sie absolut diskret vorgehen würden, ehe er doch mit den von Hellwein geforderten Daten herausrückte.
Danach rutschte die Staatsanwältin von der Tischkante und sagte wenig überzeugt: „Nun gut. Wir werden dem nachgehen. Bis dahin dürfen Sie unsere Gastfreundschaft genießen, Herr Schmitz.“
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Gregor war niedergeschlagen, am absoluten Tiefpunkt angekommen. Die Enttäuschung über ihr Scheitern war grenzenlos, und selbst Lucia schwieg eine Weile. Sie hatten doch alles richtig gemacht, kein einziges Detail vergessen, und trotzdem schwieg Gott noch immer. Als hätte sich nichts geändert. Einmal Mantelkind, immer Mantelkind, so einfach war das also. Oder hatte Gott immer noch nicht erkannt, wer Ihm dieses Opfer brachte? Warum?
Lucia war es schließlich, die den Schwachpunkt in ihrem Plan entdeckte. „Es war die falsche Stelle“, sagte sie. „Wir müssen es wieder tun! Und du weißt, wo. Wenn wir dahin gehen, wird Gott verstehen.“
Gregor wollte zunächst nichts davon wissen, aber Lucia gab keine Ruhe. Sie gab nie Ruhe, all die Jahre schon nicht. Wenn sie ihren Willen nicht bekam, ging das Gekeife los. Sie konnte Stunden zetern. Tage. So lange, bis Gregor die Nerven verlor und ihr nachgab, damit sie endlich still war.
So ging es auch jetzt wieder. Gregor knickte schnell ein und meinte nun ebenfalls, dass sie noch einen Versuch machen sollten. Bis auf die Ortswahl blieb der Plan exakt gleich: Das Mantelkind, die Ähnlichkeit mit Claudia. Das Stahlseil und die blaue Kerze dienten als Fingerzeig für Ihn, damit Er wusste, wohin dieses Kind gehörte. Und der Ort würde Ihm zeigen, wer dieses Opfer brachte.
Donnerstag, 29. November
Chris hörte den weitschweifigen Ausführungen von Hans Meier nur mit halbem Ohr zu. Der eher raubeinige Maurer war betrunken Auto gefahren, hatte dabei zwei Begrenzungspfosten gerammt und beinahe eine Siebenundachtzigjährige mitsamt Urenkel umgenietet. Und nun versuchte er, seinen Anwalt davon zu überzeugen, dass er eigentlich ein sehr verantwortungsvoller Mensch ist und nur vor lauter familiären Problemen zu tief ins Glas geschaut hatte. Job auf dem Bau verloren, zwei anstrengende Mädchen, die Frau mit dem dritten Kind schwanger — aber wohl leider nicht von ihm, Wohnung zu klein und überhaupt.
„Sie müssen nicht mich überzeugen“, unterbrach Chris seine Litanei ungeduldig, „sondern den Richter.“
Meier schluckte und knetete seine riesigen Hände auf den Oberschenkeln. In seinem
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