Mara und der Feuerbringer
Dafür würden sie etwas von Energien schwafeln und von Schwingungen, die sie gespürt hatten, und dazu wurde sehr viel wissend genickt. Wie immer eben.
Eine halbe Stunde später saß Mara neben ihrer Mutter im Bus nach Hause und versuchte, Mama einen Zweig mit Blättern aus den zerzausten Haaren zu zupfen.
»Mara, bitte! Was soll denn das?«, zischte ihre Mutter, wedelte mit der Hand, als wollte sie ein Insekt verscheuchen, und lächelte dann den Mann gegenüber entschuldigend an. Der lächelte nicht zurück, denn er starrte nach wie vor auf den Zweig in Mamas Haaren, dessen Blätter bei jeder Bodenwelle vor sich hin zitterten. Nur weil Mara den Blicken des Mannes gefolgt war, hatte sie den Zweig in den Haaren überhaupt entdeckt, und jetzt durfte sie ihn also nicht herausziehen. Na gut, dann eben nicht.
Mara setzte ihr »Ich bin nicht die Tochter dieser fremden Frau«-Gesicht auf und wartete mit leerem Blick, bis die erlösende Haltestelle von der seltsam toten Stimme angesagt wurde, die man seit ein paar Jahren anstelle der Stimme des Busfahrers aushalten musste. Ihr war das schlecht gelaunte Genuschel des Busfahrers irgendwie lieber gewesen. Sofort ploppte wieder ein Bild in Maras Gedanken auf: Siesah, wie der Bus, nur von der toten Stimme gesteuert, rücksichtslos die programmierten Stationen abfährt – immer darauf bedacht, im Zeitplan zu bleiben und keinesfalls wertvolle Sekunden zu verlieren. Und da rollt plötzlich der Ball eines spielenden Jungen auf die Fahrbahn und …
NEIN! Mara schüttelte die Bilder von sich und fasste einen Entschluss: Keine. Tagträume. Mehr. Nie wieder!
An diesem völlig verkorksten Samstag würde Mara ihr Leben ändern! Ab heute würde sie nie wieder abwesend und mit entrücktem Blick in der Klasse sitzen. Sie würde niemandem mehr die Gelegenheit geben, ihre Frisur mit Papierschiffchen zu dekorieren. Und selbst Larissa würde nichts mehr an ihr finden, über das man lachen konnte. Ab heute würde Mara das normalste Mädchen der Welt sein. Durchschnitt! Unauffällig! Nichts Besonderes. Einfach nur Mara Lorbeer, Schülerin! Auf Wiedersehen, Traumwelt. Guten Tag, Realität. So. Leben geändert, fertig.
Am liebsten hätte Mara ganz laut geseufzt. Das war ja ganz einfach!, dachte sie und fühlte sich von einer Sekunde auf die andere richtig befreit. Fast hätte sie sogar gelächelt, als sie hinter ihrer Mutter an der Haltestelle Mariahilfstraße aus dem Bus stieg. Trotzdem ließ sie sich auf dem Gehweg ein paar Meter hinter ihre Mutter zurückfallen, denn der Zweig in Mamas Haaren schien allen Passanten im Rhythmus der Schritte freundlich zuzuwinken.
Na und, sollte sich Mama doch weiter zum Gespött der Leute machen und mit den Wiccas von der Au jeden Samstag im Kompost rollen, Bäume bequatschen oder zu schrägem Geflöte und rhythmuslosem Getrommel ungelenk durch den Wald hopsen! Ab heute würde Mama das ohne ihre Tochter tun, und wenn sie sich auf den Kopf stellte! Also,
noch mal
auf den Kopf stellte. Oder was auch immer.
Mama wusste natürlich, dass Mara der ganzen Wicca-Nummer äußerst skeptisch gegenüberstand.
»Du hältst mich für verrückt, ich weiß«, sagte sie immer. »Dein Vater hat das auch gedacht, und er denkt es bestimmt noch heute. Aber das ist mir egal! Denn eines Tages wirst du vor mir stehen und mir dafür danken, dass ich dir die Augen geöffnet habe. Und ich hoffe, dass du ihm dann ausrichtest, dass er einen großen Fehler gemacht hat. Nur weil ihr euch nicht vorstellen könnt, dass es mehr gibt als dieses Leben, so wie ihr es kennt und gern hättet, heißt das noch lange nicht, dass das unbedingt so sein muss!«
Tja, dachte Mara. Aber der Baum hat dir nun mal nicht geantwortet. Denn ich als deine unauffällige, vernünftige, tagtraumlose und äußerst realistisch veranlagte Tochter kann dir hiermit versichern: Pflanzen. Sprechen. Nicht.
»Das würde ich so nicht sagen«, sprach der Zweig auf dem Kopf ihrer Mutter und Maras Welt veränderte sich.
Kapitel 2
M ara gehörte nicht zu der Sorte Mädchen, die leicht zu schocken waren. Es war ihr immer schon wichtig gewesen, auf plötzliche Geräusche, Geschrei oder die Erwähnung von Nagetieren im näheren Umfeld hin einfach cool bleiben zu können.
Ja, Mara hatte sich meistens verdammt gut unter Kontrolle. Nein, sie war kein Mädchen, das kreischend und mit den Armen rudernd auf und ab rannte.
Im Augenblick aber starrte Mara mit einem selten dümmlichen Gesichtsausdruck auf den Zweig in den Haaren
Weitere Kostenlose Bücher