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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Wohnung gewartet und in
regelmäßigen Abständen Hélène angerufen, die im Büro die Stellung hielt. Als um
drei Uhr nachmittags weit und breit weder Klient noch Wunder zu sehen war,
hatte ich mich zum Städtischen Pfandhaus aufgemacht, aber zu spät. Hatte das
Schicksal die Hand im Spiel gehabt? Die Zweigstelle in der Rue des
Francs-Bourgeois war jedenfalls schon geschlossen gewesen. Noch nicht lange; aber
knapp zu spät ist auch zu spät. Sofort war mir Onkel Samuel in den Sinn
gekommen, ein alter Bekannter von mir. Der machte gleich auf der anderen
Straßenseite dem Städtischen Trödelladen Konkurrenz. Mit ihm konnte ich das
Geschäft ebensogut abwickeln, wenn nicht noch besser.
    Ich
ging also durch die Toreinfahrt in den kleinen Hof. Es regnete stark, und ich
zog den Kopf ein. Unten an dem engen, dunklen Treppenaufgang stand auf einem
Emailschild, das früher
    einmal
blau gewesen war:
     
    SAMUEL-CABIROL
    An- und Verkauf.
Tauschgeschäfte. Gold, Silber, Verschiedenes. Kauf von Pfandscheinen. Dritte
Etage.
     
    Eine
Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger wies die Richtung.
    Genau vor dem Eingang zum
Treppenhaus spuckte eine Regenrinne Wasser. Eine Spezialität von Regenrinnen.
Draufgängerisch sprang ich mit einem Satz durch den Wasserfall. Glücklich
erreichte ich die erste Stufe.
    Das junge Mädchen hatte ich
weder gesehen noch gehört. Wir stießen zusammen. Durch meine ungewollte
Brutalität landete sie beinahe auf dem Boden, wie eine wütend vom Schachbrett
gepfefferte Dame. Dabei schien sie schon ohne mein umwerfendes Auftreten
durcheinander zu sein.
    Sie war etwas mehr als
mittelgroß, trug einen Regenmantel, außen gelb, innen schwarz. Mit ihrem
auseinandergefalteten Taschentuch tupfte sie sich die Nase und schniefte wie
jemand, der erkältet ist — oder weint. Ihre Kapuze saß ganz schief auf dem Kopf
und ließ ein paar blonde Haarsträhnen herausfallen. Das wenige, das von ihrem
Gesicht zu sehen war, schien mir hübsch, aber nicht gerade sensationell. Aber
schließlich befanden wir uns nicht beim Film, sondern in einem Haus, in dem
Arbeiter, ein polnischer Schneider und ein kaum getarnter Wucherer wohnten.
    Ich entschuldigte mich. Aus
Gewohnheit versuchte ich so nebenbei einen kleinen Scherz:
    „...Fast wär ich Ihnen um den
Hals gefallen... und wenn Ihr Lippenstift nicht kußfest ist...“
    Die übliche Leier.
    Heute hast du nicht viel Erfolg
bei den Damen, Nestor! Das mußte an meiner schmalen Brieftasche liegen. War mir
wohl auf hundert Meter anzusehen, ohne Geigerzähler. Das junge Mädchen war
schon auf die Straße gestürzt, stumm, immer noch schniefend. Als einzige
Antwort zeigte sie mir die Absätze ihrer Schlangenlederschuhe und die schwarzen
Nähte ihrer Nylonstrümpfe. Immerhin hing noch ihr feines, angenehmes Parfüm in
der Luft; zu fein, um den kräftigen Geruch nach Katzenpisse erfolgreich zu
bekämpfen oder sich auch nur mit ihm messen zu können. Der würzige Gestank
beherrschte diese Gegend und eroberte sich schnell wieder seine althergebrachten
Rechte.
    Ich vergaß den Zwischenfall und
ging die drei Etagen hoch, dachte an nichts Bestimmtes, nur noch an meine
Geldsorgen. An der Tür zu Cabirols Büro hing eine verkleinerte Ausgabe des
Schildes, das ich unten schon gesehen hatte. Daneben forderte ein
handgeschriebener Zettel den Besucher auf, mehr oder weniger gleichzeitig zu
klingeln und einzutreten. Ich klingelte, trat ein... Als ich den Vorraum
durchquert hatte, stieß ich ein Wort aus, das mir vielleicht Glück brachte. Von
übermäßigem Respekt vor dem Tod zeugte es allerdings nicht.
     
    * * *
     
    Ein Kampf hatte nicht
stattgefunden. Oder nur ein ganz kurzer. Das absolute Minimum, das diese
Sportart verlangt. Das letzte Aufbäumen eines Sterbenden. Einige Papiere und
ein rosafarbenes Schuldner)ournal lagen verstreut auf dem Boden. Das war alles.
Ansonsten herrschte Ruhe und Ordnung, kaum gestört durch Regen, Wind und dem
unerschütterlichen Ticktack der Pendeluhr. Eine relative Ordnung allerdings.
Das übliche Durcheinander für solch einen Ort, ein ordentliches Tohuwabohu.
Selbst der Staub lag an seinem Platz, in den Ecken des Kamins und auf
verschiedenen Gegenständen. Nein, kein Kampf. Nicht so eine abstoßend wilde
Prügelei, bei der alles durch die Luft fliegt und die ganze Szenerie mit Blut
vollgesaut wird. Die angewiderten Flics müssen dann hinterher die Verwüstungen
protokollieren. Dies hier war ein sauberer Mord, stubenrein elegant, von langer
Hand vorbereitet. Und

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