Marathon Mosel
Sträucher.
Nahe dem Zaun schaltete Ben die Lampe aus und lauschte eine Weile. Nur das Surren der Windräder und das Brummen der Lkw’s, die einen halben Kilometer entfernt auf der B 51 entlang zogen, waren zu hören.
Er schaltete die Lampe wieder an. Der Zaun war in einem dermaßen verrotteten Zustand, dass es Ben erstaunte. Bei einem Munitionslager auf deutschem Boden hatte er weitaus mehr Solidität erwartet. Er brauchte nur ein paar Meter zu gehen, bis er eine Stelle fand, wo der rostige Maschendrahtzaun so locker war, dass er darunter hindurchkriechen konnte.
Direkt vor ihm ragten die in Schräglage geratenen Betonbrocken des gesprengten Westwallbunkers auf. Er hielt auf die beiden Baracken zu, neben denen ein Bagger und ein Lkw abgestellt waren. Welke Blätter blieben unter seinen Schuhen haften. Mit jedem Schritt wurden es mehr. Das Erdreich war weich wie ein frisch geharktes Beet. Als er den gepflasterten Weg erreichte, blendete ihn ein plötzlich aufflackerndes Scheinwerferlicht. Instinktiv ließ er sich fallen. Er wartete kurz, bevor er geduckt auf das Licht zulief. Die Beleuchtung war sicher kilometerweit und auch von der B 51 aus zu sehen. Wer wusste, wie oft ein Kaninchen oder streunende Katzen den Bewegungsmelder aktivierten.
Dunkelbrauner Lack, Bens Hautfarbe nicht unähnlich, blätterte von den Brettern der Baracke, unter deren Dach die Lampe montiert war. Er nahm den Kaugummi aus dem Mund, reckte sich und pappte die Masse auf den Sensor unter der Lampe. Nach ein paar Sekunden erlosch das Licht. Ben steckte sich einen neuen Kaugummi in den Mund.
Er tastete sich am Holz entlang. Es blieb ihm keine Zeit, seine Augen wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen. Kaum hatte er eine Ecke erreicht, blendete ihn ein weiterer Scheinwerfer. Gebückt rannte er auf ein zweites Gebäude zu, an dem der Scheinwerfer hing. Noch im Laufen nahm er den Kaugummi aus dem Mund.
An den Türrahmen der deutlich kleineren, aber nicht minder schäbigen Baracke gelehnt, lauschte er in die Nacht. Fernes Hundegebell mischte sich mit dem Rauschen der Lkw’s und Windräder.
Ben öffnete das Vorhängeschloss so mühelos, als habe er statt des kleinen gebogenen Drahtes den passenden Schlüssel. Er streifte seine Schuhe ab. Gleich hinter dem Eingang befand sich ein großer Raum. Ben überlegte einen Moment, woran ihn der Geruch hier drinnen erinnerte. Der Strahl seiner Taschenlampe wanderte über abgenutztes Linoleum zu einem Metallschrank. Jetzt fiel es ihm ein. Es waren die Besuche in Antiquariaten, wo er hin und wieder gestöbert und nur selten etwas von Nutzen gefunden hatte. Es roch nach altem, sich zersetzendem oder feucht gewordenem Papier.
Indem er die Taschenlampe wie ein Priester beim Segnen in alle Richtungen schwenkte, verschaffte er sich einen schnellen Überblick, bevor er Stück für Stück die Möbel ableuchtete. Zwei Schreibtische, ein halbes Dutzend Schränke. Das Deckenlicht wagte er nicht anzuschalten. Die maroden Wände könnten Licht nach außen durchlassen.
Ben öffnete das einzige Fenster zwischen den Schränken und löste den Balken, der die Fensterläden sicherte. Er atmete tief ein. Durch die Ritzen drang ein wenig Nachtluft in den muffigen Raum.
Ein einzelnes Motorgeräusch wurde lauter. Draußen näherte sich ein Fahrzeug. Ben blieb reglos am Fenster stehen. Hatte jemand die Polizei gerufen? Hatte er einen versteckten Alarm ausgelöst?
Er nahm eine Pistole aus der Tasche und entsicherte sie.
Draußen zogen schleichend Scheinwerfer vorüber. Das Motorgeräusch nahm ab, wurde immer leiser. Ben steckte die Waffe wieder ein.
Keiner der Schränke war abgeschlossen. Er brauchte mehr als zwei Stunden, um das System zu durchschauen, nach dem die Akten geordnet waren. Wie er feststellte, lagerte hier eine Dokumentation von über fünfzig Jahren Arbeit des Kampfmittelräumdienstes. Besonders den ersten Jahren nach 1945 galt sein Interesse.
Erstes Vogelgezwitscher war von draußen zu hören.
Über viele Funde gab es nur Aktenvermerke. Eine Übersichtskarte, in der alle Funde dokumentiert waren, war erst später angelegt worden. Die Luftaufnahmen der zerstörten Städte und Dörfer beschworen in ihm graue Kindheitserinnerungen herauf. Menschen, die mit ausdruckslosen Gesichtern in Zelten saßen, der lebensbedrohenden Gefahr entronnen und nun in einem perspektivlosen Elend gefangen.
Als durch die Ritzen des Fensterladens das Licht der Dämmerung hereinfiel, schaltete Ben das Deckenlicht ein. Alles hatte viel
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