Marathon Mosel
müssen uns beeilen«, trieb ihn sein Kollege an. Links und rechts schoss das Regenwasser aus unzähligen Anschlüssen in den Kanal. Grabbes Knie waren längst von der Brühe überspült. Etwas wurde von hinten an seine Beine gedrückt. Dann spürte er, wie es an seinem Rücken zerrte.
Oh Gott, eine um ihr Leben kämpfende Ratte lief an ihm hoch. Grabbe schrie laut auf und drehte sich im Kreis. Schläge trafen ihn am Schulterblatt.
»Sie ist weg«, rief Meier, der das Tier mit Faustschlägen vertrieben hatte.
Das Abwasser reichte ihnen inzwischen bis zur Hüfte. Sie wateten weiter nach vorn gebeugt, immer den bedrohlich ansteigenden Pegel vor Augen.
Grabbe hatte jedes Zeitgefühl verloren. Das Wasser stieg und stieg. Nur noch mühsam kamen sie voran. Wenige Meter weiter reichte ihnen die schaumige Brühe bereits bis zur Brust.
*
Walde eilte zum Wohnwagen zurück. Gabi stand, den Telefonhörer am Ohr, auf dem Rasen. Mit der linken Hand stützte sie sich an dem Wohnmobil ab. Jetzt sah Walde auch den Grund für ihre verlorene Standfestigkeit. Die Absätze ihrer Schuhe waren im aufgeweichten Rasen versunken.
»Ich hab’ ihn!«, rief sie ihm entgegen.
»Wen?«
»Harry«, antwortete sie. »Er ist bei Peffer.«
»Darf ich mal?«
Sie reichte Walde das Telefon.
»Wo seid ihr?«
»Kaiserstraße«, antwortete Harry. »Was gibt’s?«
»Du musst unbedingt den Peffer aufhalten. Er darf keinen Schritt mehr weiterlaufen. Wir sind sofort da.«
Walde reichte das Telefon zurück. »Wir müssen zur Kaiserstraße.« Er drückte sich mit beiden Händen das Wasser aus den Haaren. Gabi bot ihm ihr Handtuch an.
»Das bleibt besser da, wo es ist«, lehnte er ab. Er schaute sich um. Von überall strömten Läufer herbei. Während des Unwetters hatten viele in den Zelten und der nahen Fußgängerunterführung Zuflucht gesucht.
Walde und Gabi rannten über den matschigen Rasen zur Straße. Vor der Kreuzung zur Paulinstraße stand ein Streifenwagen quer zur Fahrbahn.
»Bringen Sie uns zur Kaiserstraße!«, rief Walde dem Polizisten zu, der an der Motorhaube des Wagens lehnte.
»Taxis finden Sie am Bahnhof!«, antwortete der Mann. Seine Uniform hatte keinen Tropfen Regen abgekriegt.
»Kripo Trier, mein Name ist Bock, Kommissar Bock.«
Walde kannte den Mann.
Der schien ihn nun ebenfalls zu erkennen und schüttelte den Kopf. »Geht nicht, Herr Kommissar, ich darf hier nicht weg.«
»Dann bleib da!« Gabi saß bereits am Steuer des Streifenwagens. »Walde, komm!« Sie ließ den Wagen an. Walde öffnete die Tür und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Sie gab Vollgas. Der Polizist sprang zur Seite und verlor dabei seine Mütze. Walde spürte, wie der Wagen leicht reagierte, als ein Vorderreifen die Kopfbedeckung samt Hoheitszeichen plattmachte.
*
Der Strömungsdruck des Abwassers war so stark, dass Grabbe sich kaum mehr auf den Füßen halten konnte. Von links und rechts schossen aus dem Gemäuer dicke Wasserstrahlen auf ihn zu.
»Wir müssen im nächsten Schacht nach oben«, hörte er Meier rufen.
Grabbe konnte nichts erkennen. Sein Kinn tauchte in die Brühe. Er presste die Lippen zusammen, riss den Kopf nach oben. Sein Helm knallte an die Decke. Das Wasser schwappte erneut über sein Kinn. Die Deckenwölbung war bereits halb geflutet. In dem nach oben schmäler werdenden Raum stieg das Wasser umso schneller. Grabbe streifte den Helm ab. Sein Kopf stieß an die Decke. Vor ihm wurde Meier von den Fluten weggerissen. Grabbe sah nichts mehr, spürte, wie das Wasser über seinen Mund stieg. Er legte den Kopf zur Seite und atmete ein. Seine Schädeldecke streifte unablässig an den ungleichen Ziegeln vorbei. Grabbe presste die Lippen zusammen, hielt die Luft an, spuckte. Das Wasser drückte gegen seinen Körper. Er stemmte die Stiefel dagegen, krallte beide Hände in die Fugen der Mauer, legte den Kopf in den Nacken, sog Luft ein. Als seine Stiefel den Halt verloren, wurde er weggerissen. Seine Arme griffen ins Leere, in den Ohren rauschte es, sein Rücken stieß hart an. Der Druck ließ nach. Er war ein Teil des durch den Kanal schießenden Stroms.
*
Der Wagen raste mit Blaulicht und Martinshorn über die Allee. Die Läufer orientierten sich an der Ideallinie am rechten Rand, um keinen Meter zu viel zurückzulegen. Noch Hunderte waren unterwegs. Walde zog sich die Schnur mit der Plakette über den Kopf und warf sie auf das Armaturenbrett. In der Kaiserstraße hielten sie vergeblich nach den Luxemburgern
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