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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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verdrängt und verbannt. Zweifel waren
unerwünscht. Leuschen hatte ihn angebrüllt, er solle
verschwinden. Er wolle nichts mit ihm zu tun haben. Klaus Leuschen
hatte Randy damals in der mitgebrachten Decke verschnürt. Nur
er war noch in der Lage gewesen, ein Auto zu bewegen. Nachdem sie
das Mädchen in den Rhein geworfen hatten, war er der Einzige,
der zurück zum Friedhof ging, um dort Spuren zu verwischen.
»Hast du alles vergessen?«, hatte Gassmann
zurückgebrüllt, als ihm Leuschen die Tür vor der
Nase zugeknallt hatte. Noch nicht einmal ins Haus hatte er ihn
gelassen.
    Er hatte nicht
gewusst, was er machen sollte. Die Wut war immer größer
geworden. Und mit der Wut wuchs der Hass. Man konnte die Dinge
nicht einfach herunterschlucken. Doch er hatte nicht gewusst, wohin
mit seinem Zorn, den er loswerden musste, um endlich Ruhe zu
finden.
    Nachdem er Randberg
getroffen hatte, war alles einfacher geworden. Als er diesem
traurigen Mann, dessen Leben sie genauso zerstört hatten wie
das seiner Tochter, in die Augen gesehen hatte, wusste er, dass es
nicht zu spät war, für die Tat die Verantwortung zu
übernehmen. Verjährung kennt nur das Strafgesetz. Das
Leben kennt keine Verjährung.
    Vorm »Früh
im Veedel« prostete man ihm zu. Ein kleiner Junge im Trikot
der italienischen Nationalmannschaft lief ein paar Meter neben ihm
her. Ingo Gassmann lächelte. Zum ersten Mal hatte er
Spaß am Publikum. Der Junge bot ihm die Hand und Gassmann
schlug ein.
    »Viel Spaß
noch. Du schaffst es!«, rief der Kleine ihm nach.
    »Ja!«,
antwortete er. »Natürlich schaffe ich das. Die letzten
Meter sind ein Kinderspiel.«

60
    Gröber
drückte sich an die Absperrung, um die Läufer passieren
zu lassen. Ihm gegenüber standen zwei Polizisten, jederzeit
bereit, auf die Straße zu stürzen und einen Mann mit
rotem Trikot und Startnummer 5419 abzufangen und von der Strecke zu
ziehen. Gröber malte sich aus, welchen Tumult die Aktion bei
den johlenden Zuschauern hinter der Absperrung auslösen
würde, aber diesmal würde er nicht lange fackeln. Keinen
Meter wollte er mehr laufen. Erst die blödsinnige Rennerei
neben einem durchtrainierten Marathonläufer, dann die Hetzerei
durch die gesperrte Innenstadt, um hierhin zu gelangen. So viel
hatte er sich seit seinem letzten Fußballspiel mit der
Polizeimannschaft nicht bewegt. Und das war sicher drei Jahre her.
Man hatte ihm zu verstehen gegeben, dass seine Position von
jüngeren Kollegen effektiver besetzt werden könnte und
seine jahrelange Treue zum Polizeisport nicht mehr als Argument
für einen Stammplatz ausreichen würde. So wurde man
ausgemustert. Mit sechsunddreißig Jahren zum alten
Eisen. 
    Selber schuld, dachte
er. Hätte ja so blöd trainieren können wie die
Penner hier.
    Die Läufer, die
an ihm vorbeizogen, gehörten nicht zu denen, die sich ins Ziel
schleppen mussten. Die peinlichen Gestalten für den
Lumpensammler am Schluss des Zuges waren Stunden von diesen
Hobby-Athleten entfernt, die hier die natürlichen Grenzen
menschlicher Fortbewegung überwanden. Die meisten von ihnen
sahen dabei ausgesprochen glücklich aus. Bis zum Ziel war es
nicht mehr weit. Das sorgte für zufriedene
Gesichter.
    Gröber hatte noch
einmal versucht, mit dem Funkgerät oder dem Handy Kontakt zu
Remmer aufzunehmen, doch die hatte keinerlei Interesse an weiteren
Besprechungen. Die Anweisung war klar: Ingo Gassmann durfte nicht
ins
Ziel.          
    Er versuchte sich
vorzustellen, was passieren könnte, wenn ihnen das nicht
gelingen würde. Eine unwahrscheinliche Variante,
schließlich waren sie zu dritt, das Läuferfeld hatte
sich völlig entzerrt, die Strecke war nicht zu breit. Mal
angenommen, er käme durch, dachte er. Wie sollte der vierte
Mord, wenn es denn überhaupt einen hier geben sollte,
über die Bühne gehen? Ein verrückter Messerstecher?
Ein Unbekannter?«
    Gröber winkte
einen der beiden Polizisten auf seine Seite
herüber.
    »Ich gehe ein
Stück Richtung Ziel. Nur zur Sicherheit.«
    Der Polizist
nickte.
    Hatten sie etwas
übersehen? Was war mit dem Mädchen auf Mallorca? Was war
mit diesem Gollembeck, der sich im Polizeigewahrsam über sie
lustig gemacht hatte, bevor sie ihn wieder freilassen mussten? Der
Haftrichter hatte keinen Grund gesehen, Untersuchungshaft
anzuordnen. Zu schwach waren ihre Argumente gewesen. Die
Aneinanderreihung von Zitaten, mit denen sie der verlotterte Mann
in seinem dreckigen Wohnzimmer bombardiert hatte und die sie vor
dem Richter

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