Blood Lily Chronicles 02 - Zerrissen
1
Mein Name ist Lily Carlyle. Nur dass das nicht mein Name ist. Nicht so richtig. Nicht mehr.
Ich war eines Nachts losgezogen, um das Schwein umzubringen, das meine kleine Schwester verfolgt und vergewaltigt hatte. Leider ist mir das misslungen. Und am Ende war nicht Lucas Johnson tot, sondern ich.
Nicht ganz das, was ich mir erhofft hatte, das muss ich zugeben. Richtig unheimlich wurde es aber erst, als ich in einem fremden Körper wieder erwachte.
Seit diesem Tag ist mein Name Alice Elaine Purdue.
Was ganz gut das ganze Dilemma meines Lebens veranschaulicht: Nichts ist, wie es scheint. Beispielsweise hatte ich geglaubt, ich sei wieder zum Leben erweckt worden, um Dämonen zu töten, die die Neunte Pforte der Hölle öffnen wollen. Dass ich eine ganze Dämonenarmee davon abhalte, bei der nächsten interdimensionalen Konvergenz in unsere Welt herüberzuwechseln. Dass ich Armageddon verhindere. Dass ich Gutes tue, sehr Gutes sogar. Und dass ich mir, wenn ich alles nach Wunsch erledigt habe, einen hübschen strahlenden Heiligenschein und eine dicke, fette Eins plus im ewigen Zeugnis verdiene.
Pustekuchen!
Die Wahrheit ist viel komplizierter. Die Wahrheit ist - ehrlich gesagt - das Letzte.
Man hat mich reingelegt. Während ich angeblich gegen die bösen Buben ins Feld zog, spielte ich genau denen in Wahrheit in die Hände. Meine Mission bestand nicht darin, die Neunte Pforte zu schließen und die Dämonenhorden in die Schranken zu verweisen. Im Gegenteil: Ich hinderte die Guten daran, genau das zu tun.
Ich verhinderte das Ende der Welt nicht, sondern ich begünstigte es!
Die Neunte Pforte stand sperrangelweit offen, und in nicht einmal zwei Wochen würden ganze Bataillone von Dämonen über die Grenze marschieren. Das Leben, wie wir es kennen, wird dann zu Ende sein und die »Hölle auf Erden« nicht länger nur eine Redewendung. Zumindest, wenn es nach dem schmutzigen Plan der Dämonen geht.
Ich habe jedoch nicht die Absicht, einfach tatenlos zuzusehen. Sie haben aus mir eine Kriegerin gemacht - und bei Gott, es ist an der Zeit, in die Schlacht zu ziehen!
Ich werde einen Weg finden, die Pforte endgültig zu schließen.
Und je mehr Dämonen ich dafür umlegen muss, desto besser.
2
Wie ein Tiger im Käfig rannte Deacon in unserem muffigen Motelzimmer auf und ab. Er trug Jeans, ein weißes T-Shirt und eine Sonnenbrille, auf die er trotz der schwachen Beleuchtung und der noch frühen Morgenstunde offenbar nicht verzichten mochte.
Mit dieser Brille sah er wie ein richtiger Bösewicht aus, was er selbstverständlich auch war. Ein Dämon. Ein Tri-Jal. Einer von der allerschlimmsten Sorte.
Aber in ihm steckte mehr. Er war ein Dämon, der sich mit einer Dämonenjägerin verbündet hatte - mit mir. Die Ironie brachte mich zum Lächeln, obwohl ich nicht gerade frei von Sorgen war. Denn das Spiel, das ich trieb, war gefährlich. Wenn mein Entschluss, mich mit einem Dämon einzulassen, sich als falsch herausstellen sollte, würde ich das möglicherweise bis in alle Ewigkeit büßen müssen. Mit Sicherheit wusste ich nur: Ich konnte ihn nicht abweisen, ihn nicht aus meinem Leben verbannen oder aus meinem Kopf, ja, nicht einmal aus meinem Herzen. Denn ganz am Anfang war er direkt in mein Gehirn eingedrungen und hatte verkündet, ich sei sein Besitz. Du gehörst mir, hatte er gesagt. Du gehörst mir.
Und von Tag zu Tag fürchtete ich mehr, dass er recht hatte; ich kämpfte dagegen an. Und doch fand ich die Vorstellung gleichzeitig ... angenehm.
Wo er die Sonnenbrille herhatte, wusste ich nicht, und ich fragte auch nicht danach. Was ich allerdings wusste: Er trug sie wegen mir. Denn wenn ich seine Augen nicht sehen konnte, dann konnte ich auch nicht in seinen Kopf schlüpfen. Und dort war seine wirklich dunkle Seite zu finden. Die Bilder früherer Untaten. Bilder von Erinnerungen, die zu schrecklich waren, um andere daran teilhaben zu lassen.
Dennoch wollte ich diese Bilder sehen. Ich musste sie sehen. Ich musste das Innerste dieses Mannes kennenlernen, der mich so anzog. Aber er ließ mich nicht rein, und die Brille war nur eine von vielen Arten, mir klarzumachen, dass ich es erst gar nicht versuchen sollte.
Ehrlich gesagt war ich deswegen stocksauer. Momentan brauchte es freilich nicht viel, um mich auf die Palme zu bringen. Ich wanderte auf einem schmalen Grat. Kippte ich nach der einen Seite, bekam ich einen Tobsuchtsanfall. War es die andere, versank ich in Hoffnungslosigkeit.
»Die Sonne geht bald auf«,
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