Marcos Verlangen
hatte er das noch nie gesehen.
„Aber ich könnte trotzdem ein Psychopath sein. Die Geschichte der Philosophie ist bekanntlich voll davon.“
Sie winkte lachend ab.
„Ich weiß, die hatten irgendwie doch alle einen an der Waffel. Aber ein akademischer Titel schafft dennoch erst mal Vertrauen, vielleicht ist das ja falsch, aber es ist nun mal so. Zumindest erleichtert es eine theoretische Vorauswahl. Wenn du dich danach leider trotzdem als Psychopath entpuppst – dann habe ich eben Pech gehabt.“
„Hättest du mit der richtigen Visitenkarte denn bereits nach dem ersten Treffen angerufen?“
Sie zögerte keine Sekunde.
„Nein, weil ich das aus Prinzip nie tue. Ich hätte ja damals schon deine Karte behalten und dich googeln können“, erklärte sie. „Dass wir uns dann später zufällig noch einmal getroffen haben, war etwas gänzlich anderes.“
„Es hätte also doch keinen Unterschied gemacht.“
„Ich hätte dich vielleicht schon vorgestern angerufen, nicht erst gestern“, neckte sie ihn.
„Ja, genau – warum erst gestern?“
„Weil ich seit heute Urlaub habe. Ich habe also endlich Zeit dazu, ein bisschen Privatleben zu kultivieren.“
„Sie hat Urlaub! Oh, mein Gott!“, stöhnte er theatralisch auf und verbarg das Gesicht kopfschüttelnd in seinen Handflächen. „Und ich bin mitten im Terminstress!“
„Was ist daran so schlimm?“, lachte sie amüsiert.
„Dass ich mir nun täglich vorstellen muss, dass du alle Zeit der Welt hast, dich mit allen möglichen Männern zu treffen, während ich hinter diesen hohen Mauern sitze und mich mit schwerwiegenden philosophischen Problemen herumschlagen darf.“
„Dann stell es dir eben nicht vor.“
„Das dürfte nicht so einfach werden“, bekannte er, plötzlich sehr ernst geworden. Ihre Antwort war nicht das, was er eigentlich erwartet, nein, eher erhofft hatte. „Warum widersprichst du mir nicht wenigstens pro forma, was die anderen Männer betrifft?“
Sie ging nicht auf seine Frage ein, sondern wechselte ungerührt das Thema.
„Da wir nun schon dabei sind – was macht ein Dekan überhaupt?“
Marco holte tief Luft. Er hätte viel lieber eine Antwort auf seine neugierige Frage bekommen, doch er ging resigniert auf das Thema ein.
„Lauter hoch interessante Dinge. Zuerst einmal bin ich der offizielle Vertreter meiner Fakultät nach außen, also gewissermaßen ihr Sprachrohr. Zweitens leite ich alle organisatorischen und pädagogischen Aktivitäten der Fakultät und bin dafür verantwortlich, dass der Fachbereich reibungslos funktioniert. Das kann manchmal ziemlich trocken und langweilig sein, aber ich habe ein hervorragend funktionierendes Sekretariat und daher einiges davon delegiert. Ich entscheide darüber, ob und wie wir mit anderen Fakultäten und auch anderen Universitäten zusammenarbeiten und über die Kooperation mit Partneruniversitäten im Ausland. Außerdem nehme ich an den Sitzungen des akademischen Senats teil, leite den Fakultätsrat und…“
„Stopp!“, rief sie und hob abwehrend die Hände. „Das reicht! So genau wollte ich das gar nicht wissen. Hältst du denn selber gar keine Vorlesungen mehr?“
„Kaum. Ich mache manchmal Vertretung, aber es ist nicht mehr meine Aufgabe, zu unterrichten. Und darüber bin ich sehr froh.“
„Wieso das denn?“
„Weil ich mich vor dem Ansturm verliebter Studentinnen gar nicht mehr retten konnte.“ Nun grinste er breit und entwaffnend.
„Na, das kann ich mir ja lebhaft vorstellen, du eingebildeter Gockel.“ Ihre Stimme war voller Spott, doch auch sie grinste amüsiert. Sie konnte es sich tatsächlich vorstellen. Bei seinem Aussehen und seinem Charme hatte es die Damenwelt in seinen Vorlesungen sicher schwer gehabt, sich auf den Stoff zu konzentrieren. „Und wann hast du vor lauter akademischer Verwaltungsarbeit noch Zeit, deine Sendungen zu machen?“
„Das ist meistens mit einem Wochenende im Monat erledigt“, klärte er sie auf. „Der Sender bereitet alles vor, ich liefere ihnen einen Fragenkatalog, den sie vor der Aufnahme mit demjenigen meines Gesprächspartners in Einklang bringen, und der eigentliche Dreh ist meistens in Echtzeit im Kasten. Außer es passiert etwas sehr Ungewöhnliches, aber das kommt nur selten vor.“
„Aha.“ Ella nickte verständnisvoll. „Ist es eigentlich schwierig, immer wieder Leute zu finden, die dir Rede und Antwort stehen wollen?“
Nun lachte er spöttisch auf.
„Im Gegenteil! Du ahnst ja nicht, wie gerne Menschen über
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