Marcos Verlangen
so wie es ihm gerade gefiel. Er hätte sie einfach in sein Auto verfrachtet, wäre mir ihr irgendwohin gefahren, wo sie alleine waren und hätte sich mit ihr vergnügt. Selbst wenn es im Auto gewesen wäre. Aber jetzt?
Er schluckte und zwang sich zur Räson.
„Wo hast du geparkt?“ Ein kleiner Teil seines Gehirns schien immerhin noch zu funktionieren wie bei einem erwachsenen Menschen.
„Ich bin mit dem Bus gekommen.“
„Dann fährst du also mit mir“, entschied er. Sie kehrten zurück zu dem Palazzo, der seine Fakultät beherbergte und betraten durch einen Seiteneingang den Dozentenparkplatz. Er steuerte zielstrebig auf einen feuerroten Wagen zu.
„Ist nicht wahr!“, lachte sie verblüfft auf, „du fährst eine rote Giulietta?“
„Das ist nur mein Dienstfahrzeug und in der Innenstadt sehr praktisch“, erklärte er irritiert. „Gefällt sie dir etwa nicht?“
„Doch, doch, tut mir leid, so meinte ich das nicht“, beschwichtigte sie ihn. „Es ist nur zufällig auch eins meiner Lieblingsautos, eben weil es schön klein und wendig ist. Und so klein ist die hübsche Giulietta nun auch wieder nicht, im Kofferraum hat ganz schön was Platz. Meine ist übrigens schwarz, wir sollten also vielleicht tauschen.“
Er warf ihr einen amüsierten Blick zu, während er ihr galant die Beifahrertür öffnete.
Von seiner Fakultät aus war es nicht allzu weit bis zur Ausstellung, zu Fuß allerdings hätten sie ein hübsches Stück zu gehen gehabt. Da er eine Parkberechtigung für die Innenstadt besaß, konnte er das Fahrzeug bequem in der Nähe des Corso Ercole d’Este stehen lassen und sie hatten nur einen Katzensprung bis zum Eingang.
Unter dem Portikus wandte er sich nicht nach links zum Kartenverkauf, sondern führte sie sofort rechts durch den Haupteingang. Die beiden jungen Damen hinter dem Empfangstresen sahen auf und lächelten, als sie ihn erkannten.
„Buonasera, professore“, grüßten sie ihn in Stereo. „Schön, Sie schon so bald wiederzusehen“, ergänzte eine der beiden fröhlich.
Ella warf ihm einen fragenden Blick zu, als er sie, ohne ein Ticket zu kaufen, an den beiden vorbei lotste.
„Du hast die Ausstellung auch schon gesehen?“, fragte sie flüsternd, als sie den ersten Durchgang passiert hatten.
„Das ist immerhin eine Ausstellung, die man sich gerne öfter ansehen kann“, zitierte er sie verschmitzt und zuckte entschuldigend die Achseln. „Und da ich außerdem als Leihgeber das Privileg habe, jederzeit und gratis herkommen zu dürfen, nutze ich das natürlich weidlich aus.“
Ella riss fassungslos die Augen auf. „Leihgeber?“
„In einer der letzten Ausstellungen hing ein Bild aus Familienbesitz, das ich geerbt habe. Als das Kuratorium an mich herantrat und mich fragte, ob ich es als Exponat zur Verfügung stellen würde, habe ich natürlich nicht nein gesagt.“
Ein tadelndes Räuspern ließ sich hinter ihnen vernehmen. Zwar waren sie um diese Uhrzeit so gut wie alleine in den Räumen, aber doch nur so gut wie. Ein älteres, wohl in Ehren ergrautes Paar sah vorwurfsvoll zu ihnen herüber und widmete sich dann nach einem weiteren, mahnenden Räuspern wieder der Lektüre der erklärenden Schrifttafeln, die in jedem Raum angebracht waren und Hintergrundwissen zu den jeweiligen Exponaten und Künstlern vermittelten.
Marco und Ella sahen sich amüsiert an.
„Ich wusste noch gar nicht“, gluckste Ella, „dass hier drin neuerdings klösterliche Schweigepflicht herrscht.“
„Ich ebenso wenig“, bestätigte Marco lachend, „aber da haben wir wohl zwei ganz besonders gestrenge Zeitgenossen erwischt.“
Er nahm ihre Hand und sie schlenderten noch immer schmunzelnd ein paar Säle weiter. Vor Giovanni Boldinis „Signora in Rosa“ blieben sie gleichzeitig stehen, ihre Finger noch immer ineinander verschlungen.
„Sie ist wunderschön“, wisperte Ella andächtig. „Mein absolutes Lieblingsbild.“
„Ja, ich verehre Boldini auch“, gestand er.
„Und nichts gegen den Palazzo Massari, aber die Beleuchtung dort ist eine absolute Katastrophe“, fuhr sie leise fort.
„Das stimmt“, bestätigte er. „Wann immer ich die Gelegenheit habe, die Boldinis in einer anderen Umgebung unter günstigeren Lichtverhältnissen zu sehen, dann nutze ich sie. Hoffentlich schaffen sie es jetzt bei den Renovierungsarbeiten, das Problem in den Griff zu kriegen.“
„Ja, hoffentlich!“ Sie wandte den Kopf und erwiderte seinen Blick. Plötzlich wurde ihm ihre körperliche Nähe
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