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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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klang unwiderruflich. Sie war nahe daran, in kindische,
ungestüme Tränen auszubrechen. Auf den Boden hätte sie sich werfen mögen und
fluchen und schreien und mit den Füßen trampeln. Aber ein Rest von Stolz und
Vernunft hielt sie zurück. »Wenn ich das tue«, dachte sie, »lacht er mich nur
aus und schaut ruhig zu. Ich darf nicht heulen, ich darf nicht betteln, ich
darf nichts tun, was seine Verachtung erregt. Er muß mich wenigstens achten,
auch wenn er mich nicht mehr liebt« Sie warf das Kinn empor und brachte ganz
ruhig heraus: »Wohin fährst du?«
    Etwas wie
Bewunderung blitzte in seinen Augen auf, als er antwortete.
    »Vielleicht
nach England ... oder nach Paris; vielleicht auch nach Charleston, um mich mit
den Meinen auszusöhnen.«
    »Aber du
haßt sie doch! So oft hast du über sie gelacht, und nun ... «
    Er zuckte die
Achseln.
    »Ich lache
auch heute noch über sie, aber ich bin des Herumstreichens müde, Scarlett. Ich
bin jetzt fünfundvierzig, in dem Alter beginnt der Mensch einiges zu schätzen,
was er in der Jugend leichtsinnig verworfen hat, Familienzusammengehörigkeit,
Ehre und Sicherheit. Die Wurzeln gehen tief ... O nein! Ich widerrufe nichts,
ich bereue nichts, was ich getan habe. Ich habe mein Leben verteufelt genossen,
so sehr, daß es anfängt, langweilig zu werden, und ich mich nach etwas anderem
umsehe. Mich verlangt nach dem äußeren Schein des Altvertrauten, nach tief
verschlafener Ehrbarkeit, nach der Ehrbarkeit anderer Leute, mein Herz, nicht
nach meiner eigenen; nach der ruhigen Würde, die das Leben unter den vornehmen
Leuten haben kann, nach der heiteren Anmut vergangener Jahre. Als ich jene
Zeiten durchlebte, ist mir ihr gelassener Zauber nicht aufgegangen ... «
    Wieder war
Scarlett in dem windigen Obstgarten auf Tara, wieder hatten Rhetts Augen
denselben Ausdruck wie damals Ashleys. Ashleys Worte klangen ihr so deutlich in
den Ohren, als spräche jetzt er und nicht Rhett. Einzelne Worte kamen ihr
wieder, und wie ein Papagei plapperte sie aus der Erinnerung nach: »Ein Ebenmaß
lag darüber wie über der griechischen Kunst.«
    Rhett
fragte scharf: »Wie kommst du darauf? Gerade das habe ich ja ausdrücken
wollen.«
    »Das hat
... Ashley einmal von den alten Zeiten gesagt.«
    Er zuckte
die Achseln, in seinen Augen erlosch der Glanz wieder.
    »Immer
wieder Ashley«, sagte er und verstummte. Dann begann er von neuem.
    »Scarlett,
wenn du fünfundvierzig Jahre alt bist, verstehst du vielleicht, was ich meine,
und hast dann am Ende all die unechte Vornehmheit und die neureichen Manieren
und billigen Gefühle satt. Allerdings zweifle ich auch wieder daran. Dich wird
wohl immer der Glanz noch mehr locken als das Gold. Aber ich kann nicht darauf
warten und will es auch nicht. Es interessiert mich nicht. Ich will in alten
Städten und alten Ländern herumspüren, ob nicht dort noch etwas von den alten
Zeiten übriggeblieben ist. Ja, so sentimental bin ich. Atlanta ist mir zu roh
und zu neu.«
    »Hör auf«,
sagte sie plötzlich. Sie hatte kaum zugehört und jedenfalls nichts in sich
aufgenommen, aber sie hatte nicht länger die Kraft, seine Stimme ohne jeden
Klang von Liebe über sich ergehen zu lassen.
    Er schwieg
und sah sie belustigt an.
    »Verstehst
du, was ich meine?« fragte er und stand auf.
    Mit der
uralten Gebärde des Flehens streckte sie ihm die offenen Hände entgegen, und
wieder lag ihr ganzes Herz in ihrem Gesicht.
    »Nein, ich
weiß nur, daß du mich nicht mehr liebst und daß du weggehst. Ach, Lieber, wenn
du gehst, was fange ich nur an?«
    Einen
Augenblick schwankte er, als erwöge er, ob nicht eine freundliche Lüge
wohltätiger wäre als die Wahrheit. Dann zuckte er die Achseln.
    »Scarlett,
es hat mir nie gelegen, Scherben aufzusammeln und zusammenzukleben und mir
einzureden, das geflickte Ganze sei so gut wie neu. Was zerbrochen ist, ist
zerbrochen. Lieber denke ich daran zurück, wie es in seinen besten Augenblicken
war, als daß ich es kitte und mir die Bruchstellen ansehe, solange ich lebe.
Wenn ich jünger wäre ... vielleicht ...«, seufzte er. »Ich bin zu alt, um an
solche Gefühlsseligkeiten wie an den reinen Tisch und den neuen Anfang zu
glauben. Ich bin zu alt, die Last der beständigen Lüge auf mich zu nehmen, die
ein Leben höflicher Illusionslosigkeit mit sich bringt. Ich könnte nicht mit
dir leben und aufrichtig gegen dich sein. Nicht einmal jetzt vermag ich dir etwas
vorzulügen. Ich wollte wohl, ich könnte es mir sehr zu Herzen nehmen, was

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