Margaret Mitchell
du
tust und was aus dir wird, aber es geht nicht.«
Er seufzte
kurz auf und sagte leichthin, aber weich:
»Mein
Kind, es ist mir ganz gleichgültig!«
63
Schweigend
sah sie ihm nach, wie er die Treppe hinauf schritt und meinte, sie müsse an dem
Schmerz in ihrer Kehle ersticken. Dann verklang droben im Flur mit seinen
Schritten das letzte, woran in dieser Welt noch ihr Herz hing. Jetzt wußte sie,
daß nichts, kein Argument des Gefühls noch der Vernunft, diesen kühlen Kopf von
seiner Entscheidung abbringen würde. Wort für Wort hatte er bitter ernst
gemeint, so leichthin er auch einiges gesprochen hatte. Sie spürte es deutlich,
weil sie in ihm das Unbeirrbare und Unerbittliche erkannte, das sie in Ashley
vergebens gesucht hatte.
Von den
beiden Männern, die sie geliebt, hatte sie keinen verstanden und darum beide
verloren. Undeutlich dämmerte es ihrem Bewußtsein, daß sie Ashley nie geliebt
und Rhett nie verloren hätte, hätte sie sie je verstanden. Hatte sie überhaupt
einen Menschen jemals verstanden?
Eine
barmherzige Stumpfheit senkte sich auf sie. Aber aus langer Erfahrung wußte
sie, daß ihr alsbald der bittere Schmerz auf dem Fuße folgen mußte, gleichwie
zerrissenes Gewebe unter dem Messer des Chirurgen einen kurzen Augenblick
unempfindlich bleibt, ehe die Qual einsetzt.
»Ich will
jetzt nicht daran denken!« Verzweifelt nahm sie auch jetzt wieder ihre Zuflucht
zu der alten Zauberformel. »Denke ich jetzt darüber nach, daß ich ihn verloren
habe, so werde ich wahnsinnig. Ich tue es morgen.«
»Aber«,
schrie ihr Herz dann auf in seinem frischen Weh und verdrängte den Zauber,
»aber ich kann ihn so nicht gehen lassen! Ich muß ihn zurückhalten, es muß doch
ein Mittel geben ... «
»Ich will
jetzt nicht daran denken!« sagte sie laut vor sich hin und suchte ihr Herz vor
dem aufsteigenden Schmerze zu schützen. »Ich will ... ich will ... ja, morgen
will ich heimfahren nach Tara!« Und ihre Lebensgeister regten sich leise von
neuem.
Einst war
sie in Angst und Demütigung nach Tara zurückgekehrt und aus seinen schützenden
Mauern stark und siegbereit wieder hervorgegangen. Was ihr einmal gelungen war,
mußte wieder gelingen - so es Gott gefiel! Wie das zugehen sollte, darüber
dachte sie freilich nicht nach. Nur eine Atempause wollte sie für ihren
Schmerz, eine ruhige Stätte, sich die Wunden zu lecken, einen Hafen, einen
neuen Feldzugsplan ungestört zu entwerfen. Als sie so an Tara dachte, war ihr,
als lege sich eine leise kühlende Hand auf ihr wundes Herz. Sie sah das weiße
Haus vor sich, wie es grüßend aus dem rötlichen Herbstlaub schimmerte; die
Stille der ländlichen Dämmerung kam über sie gleich einem Segen, sie spürte den
Tau, der felderweit auf die grünen, weiß besternten Stauden herniedersank, und
vor ihrem Auge stand die blutrote Erde mit der düsteren Schönheit der Kiefern
auf den wogenden Hügeln.
Dieses
Bild gab ihr Trost und neue Kraft, und unmerklich schwand die qualvolle, wilde
Reue. Einzelheiten tauchten deutlicher vor ihr auf - die dunkle Zedernallee,
die nach Tara hinaufführte, die Jasminbüsche, deren saftiges Grün sich von den
weißen Mauern abhob, die wehenden weißen Vorhänge. Und Mammy war da! Plötzlich
empfand sie ein inbrünstiges Verlangen nach Mammy, wie früher, da sie noch ein
kleines Mädchen war, und sehnte sich danach, ihren Kopf an die breite Brust zu
legen und die rauhe schwarze Hand auf ihrem Scheitel zu fühlen. Mammy, das
letzte, was sie noch mit den alten Zeiten verband!
Mit dem
Trotze ihrer Vorfahren, die auch niemals eine unausweichliche Niederlage
hinnahmen, warf sie das Kinn empor. Sie konnte Rhett zurückgewinnen. Sie wußte,
daß sie es konnte. Es hatte noch keinen Mann gegeben, den sie nicht hätte
gewinnen können, wenn sie es sich vorgenommen hatte.
»Morgen auf Tara will ich über das
nachdenken. Dann werde ich es ertragen. Morgen wird mir schon einfallen, wie
ich ihn mir wieder erobere. Schließlich, morgen ist auch ein Tag.«
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