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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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die friedliche
Stille des Schlummers, sondern eine müde, schlaflose Stille, die nichts Gutes
verhieß. Auf den ersten Blick sah sie, daß Rhett sich weder im Salon noch in
der Bibliothek befand, und ihr sank das Herz. Wenn er nun fort war ... bei
Belle oder wo er sonst die vielen Abende zubrachte! Damit hatte sie nicht
gerechnet.
    Sie war
schon ein paar Stufen hinaufgestiegen, um ihn zu suchen, als sie sah, daß die
Tür zum Eßzimmer geschlossen war. Ihr Herz zog sich zusammen vor Scham, als sie
der vielen Abende dieses Sommers gedachte, da Rhett dort allein gesessen und
getrunken hatte, bis er berauscht war, und Pork kommen mußte, um ihn mit
sanfter Gewalt ins Bett zu bringen. Ihre Schuld war es gewesen, aber es sollte
anders werden. Alles sollte von nun an anders werden. »Lieber Gott, laß ihn
heute abend nicht betrunken sein! Wenn er zuviel getrunken hat, glaubt er mir
nicht und lacht mich aus, und das bricht mir das Herz.«
    Leise
öffnete sie die Tür und spähte hinein. Er rekelte sich in seinem Stuhl am
Tisch, eine volle Karaffe stand vor ihm, aber der Kristallstöpsel war noch
darauf, und das Glas war unbenutzt. Gottlob, er war nüchtern! Sie machte die
Tür auf und mußte an sich halten, nicht zu ihm zu laufen.
    Als er
aber zu ihr hinsah, hielt sie etwas in seinem Blick auf der Schwelle zurück und
verschlug ihr die Worte.
    Unverwandt
sah er sie aus schweren müden Lidern mit dunklen Augen an, in denen kein Funke
sprühte. Obwohl ihr das Haar bis auf die Schultern herabfiel, ihre Brust sich
atemlos hob und senkte und ihr Kleid mit Schmutz bespritzt war, veränderte
seine Miene sich nicht. Nichts von Überraschung, keine Frage, keine spöttisch
verzogenen Lippen. Zusammengesunken saß er auf seinem Stuhl, der Anzug warf
unordentliche Falten, jede Linie kündete von dem Verfall eines schönen Körpers,
der Verrohung eines edlen Gesichts. Trunk und Ausschweifung hatten ihr Werk an
dem scharf geprägten Profil getan. Dies war nicht mehr der Kopf eines jungen
Heidenfürsten auf frisch gemünztem Golde, sondern ein schlaffer, müder Cäsar
auf einem abgegriffenen Kupferstück. Er betrachtete sie, wie sie mit der Hand
auf dem Herzen dastand, ruhig, fast freundlich, und es ängstigte sie.
    »Komm her,
setz dich«, sagte er. »Sie ist tot?«
    Sie nickte
und kam zaudernd näher, ihr Herz wurde unsicher bei diesem fremden Ausdruck in
seinem Gesicht. Ohne aufzustehen, schob er mit dem Fuß einen Stuhl für sie
zurecht, und sie sank darauf nieder. Lieber wäre ihr gewesen, er hätte nicht
gleich von Melanie angefangen. Sie wollte jetzt nicht von ihr sprechen und die
Seelenängste der letzten Stunden nochmals durchleben. Sie konnten ja ihr ganzes
Leben lang noch von Melanie reden. So wild trieb sie das Verlangen, ihm
zuzurufen: »Ich liebe dich!«, daß sie nur diese eine Nacht, nur diese eine
Stunde zu haben vermeinte, um Rhett zu sagen, was ihr auf der Seele brannte.
Aber in seinem Gesicht lag etwas, was sie hemmte, und plötzlich schämte sie
sich, von Liebe zu sprechen, wo Melanie kaum erkaltet war.
    »Gott gebe
ihr Frieden«, sagte er bekümmert. »Sie war der einzige durch und durch gütige
Mensch, den ich gekannt habe.«
    »O Rhett«,
jammerte sie. Seine Worte stellten ihr alles Gute, was Melanie für sie getan
hatte, allzu lebhaft vor die Seele. »Warum bist du nicht mitgekommen! Es war
furchtbar ... ich hatte dich so nötig.«
    »Ich hätte
es nicht ertragen«, sagte er schlicht und schwieg einen Augenblick. Dann setzte
er wieder mühsam an und sagte: »Eine ganz große Dame.«
    Sein
düsterer Blick ging über ihren Kopf hinweg, und in seinen Augen erkannte sie
dasselbe wieder, was sie an dem Abend, da Atlanta fiel, im Flammenschein darin
gesehen hatte, damals, als er ihr sagte, er wolle sich der rückflutenden Armee
anschließen: das Staunen eines Menschen, der sich selbst genau kennt und
dennoch mit einer Spur von Selbstverspottung unerwartete Regungen und Bindungen
in sich entdeckt.
    Seine
schwermütigen Augen blickten über ihre Schultern hinweg, als sähe er Melanie
schweigend aus dem Zimmer gehen. In seinem Gesicht lag, wie es von ihr Abschied
nahm, kein Kummer und kein Schmerz, sondern nur ein grüblerisches Staunen über
sich selbst, nur das jähe Wiederaufleben eines Gefühls, das seit seiner
Knabenzeit erstorben war. Er sagte noch einmal: »Eine ganz große Dame.«
    Scarlett
erschauerte, und die Glut erlosch in ihrem Herzen, die schöne Wärme, die sie auf
beschwingten Flügeln nach Hause getrieben

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