Margaret Mitchell
forschend zu ihr auf.
Sie folgte
ihm und stand mit ineinandergekrampften Fingern vor ihm.
»Du hast
dich geirrt«, fing sie wieder an und fand endlich Worte. »Rhett, heute abend,
als ich es erkannte, bin ich den ganzen Weg nach Hause gerannt, um es dir zu
sagen. Ach, Lieber, ich ... «
»Du bist
müde«, sagte er und beobachtete sie noch immer. »Du solltest lieber zu Bett
gehen.«
»Aber ich
muß es dir sagen!«
»Scarlett«, erwiderte er trostlos,
»ich will nichts hören.«
»Aber du weißt ja nicht, was ich
dir sagen will.«
»Mein
Herz, es steht deutlich genug auf deinem Gesicht geschrieben. Irgend etwas,
irgend jemand hat dich zu der Einsicht gebracht, daß der unselige Mr. Wilkes
eine taube Nuß ist, so taub, daß nicht einmal du davon satt wirst. Und das
gleiche Etwas hat dir mich plötzlich in ein neues verlockendes Licht gesetzt.«
Er seufzte ein wenig. »Jetzt hat es keinen Zweck mehr, davon zu reden.«
Scharf zog
sie den Atem vor Überraschung ein. Er hatte sie bisher immer mühelos
durchschaut. Immer hatte sie ihm deshalb gegrollt, doch nach dem ersten Schreck
darüber, daß sie ihm nichts zu verhehlen vermochte, fühlte sie sich jetzt
erlöst und von Herzen froh. Er verstand sie, ihr Vorhaben wurde ihr auf
wunderbare Weise erleichtert. Es hatte keinen Zweck, davon zu reden! Natürlich
war er bitter geworden, weil sie ihn so vernachlässigt hatte, natürlich
mißtraute er der plötzlichen Wandlung ihres Herzens. Jetzt mußte sie ihn mit
Güte umwerben, mit Liebe überzeugen. Wie gern wollte sie das!
»Liebster,
ich will es dir alles sagen.« Sie stützte sich auf die Armlehne seines Stuhles
und beugte sich über ihn. »Ich war auf falschen Wegen, auf dummen und törichten
... «
»Scarlett,
laß das. Demütige dich nicht vor mir, das kann ich nicht ertragen. Laß uns zum
Andenken an unsere Ehe wenigstens ein klein wenig Würde und Haltung übrig.
Erspar uns dies Letzte.«
Jäh richtete sie sich auf. Dies
Letzte? Was meinte er damit? Dies Letzte?
Dies war ja das Erste, jetzt fing
es erst an!
»Ich will
es dir aber sagen«, begann sie hastig, als fürchtete sie, er könne ihr die Hand
auf den Mund legen, damit sie schweige. »Ach, Rhett, Geliebter, ich liebe dich
ja so sehr. Seit Jahren muß ich dich geliebt haben und war nur so dumm, daß ich
es nicht wußte. Du mußt mir glauben.«
Er sah sie
an, wie sie da vor ihm stand, mit einem Blick, daß es ihr bis ins innerste Herz
drang. Wohl lag Glauben in seinen Augen, Teilnahme aber kaum.
Wollte er
denn wirklich noch jetzt boshaft gegen sie sein, sie quälen und ihr mit eigener
Münze heimzahlen?
»Gewiß,
ich glaube dir«, sagte er endlich, »aber wie steht es mit Ashley Wilkes?«
»Ashley?«
Sie machte eine ungeduldige Bewegung. »An ihm liegt mir schon seit Ewigkeiten
nichts mehr. Es war ein Traum aus meiner Mädchenzeit, von dem ich mich nicht
losmachen konnte. Rhett, mit keinem Gedanken hätte ich mehr an ihn gedacht,
hätte ich eher gewußt, was er in Wirklichkeit ist. Er ist ja nur ein hilfloses,
verzagtes Geschöpf bei all seinen Worten von Wahrheit und Ehre ... «
»Nein«,
sagte Rhett, »wenn du ihn durchaus sehen willst, wie er ist, so sieh ihn auch
richtig. Er ist nur ein Gentleman, gefangen in einer Welt, in die er nicht
gehört, und er versucht nun, nach den Gesetzen einer vergangenen Welt das
wenige daraus zu machen, was er vermag.«
»Ach,
Rhett, laß uns nicht von ihm sprechen. Was liegt jetzt an ihm? Freust du dich
denn nicht, jetzt, da ich ...«
Als seine
müden Augen sie ansahen, brach sie verlegen ab, verschämt wie ein Mädchen vor
ihrem ersten Verehrer. Wenn er es ihr doch nur leichter machen wollte! Ach,
wenn er doch nur die Arme ausbreiten würde, damit sie ihm dankbar den Kopf an
die Brust legen konnte! Ruhten ihre Lippen erst auf den seinen, so würden sie
beredter sein als all ihr Gestammel. Aber als sie ihn anschaute, erkannte sie,
daß er nicht aus Bosheit so kühl war. Völlig ausgebrannt sah er aus, als könne
von allem, was sie sagte, nichts mehr Eindruck auf ihn machen.
»Freuen«,
sagte er. »Einst hätte ich Gott mit Fasten gedankt, wenn ich solche Worte aus
deinem Munde gehört hätte. Aber jetzt liegt mir nichts mehr daran.«
»Dir liegt
nichts daran? Rhett, was redest du? Natürlich liegt dir daran! Du hast mich
doch lieb! Melly hat es ja gesagt.«
»Sie hatte
recht, soweit sie es begreifen konnte. Aber, Scarlett, ist dir nie der Gedanke
gekommen, daß auch die standhafteste Liebe sich einmal
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