Maria, ihm schmeckts nicht!
Übungen für die
Kopfe.«
Daraus wurde dann aber nichts, denn Pantoni
schloss über Nacht seine Praxis und verschwand
spurlos. Der Arzt, der mich zu ihm überwiesen hatte, erzählte mir, dass Pantoni gar kein Masseur gewesen sei, dass er eigentlich gar keine Erlaubnis zum
Massieren und erst recht nicht für krankengym-
nastische Therapien hatte, sondern sein Geld abends mit dem Kneten von Pizzateig in einer Düsseldorfer
Pizzeria verdiente. Wenig später stand der Fall in der Zeitung und es wurden Geschädigte gesucht. Ich
fühlte mich aber keineswegs von ihm geschädigt,
höchstens durch den Umstand, dass er einfach
abgehauen war. Also meldete ich mich nicht.
Der dritte Italiener, mit dem ich es zu tun bekam, war genau genommen eine Halbitalienerin. Ich lernte sie eines Tages beim Bäcker kennen, als ich nicht
genug Geld für Brötchen dabeihatte und sie mir mit
zwei Mark aushalf. Ich kann nur jeden ermuntern,
nicht genug Geld dabeizuhaben, für den Fall, dass
man die Frau seines Lebens kennen lernen möchte.
Allerdings muss man darauf achten, dass man nicht
vor halb neun morgens in der Bäckerei kein Geld hat, denn da trifft man nur Handwerker oder über-spannte Senioren und das ist ja nicht unbedingt Sinn der Sache. Diese Italienerin, die mir mit zwei Mark aushalf, war Sara, und wenn ich vor dem Einkaufen
zum Geldautomaten gegangen wäre, könnte ich jetzt
nicht vor der Tür ihres Vaters stehen. Jedenfalls horte ich mich seinerzeit den schwachsinnigen, aber be-triebsimmanenten Satz sagen: »Sie können natürlich
anstelle des Geldes auch die Brötchen zurückhaben.
Vielleicht bei einem kleinen Frühstück, wenn Sie
wollen.«
Die meisten Frauen, die ich bisher getroffen hatte, hätten darauf geantwortet: »Och nö, betrachten Sie
doch die zwei Mark als Geschenk.« Sara dagegen
nicht. Sie sagte: »Na super. Keine Kohle, aber einen auf dicke Hose machen. Das muss jetzt aber ein sensationelles Frühstück werden.« Kaum zwei Jahre
später stehen wir also vor dem Reihenendhaus ihrer
Eltern. Der Klassiker mit roten Backsteinen. Neben
der Haustür rechts das kleine Klofenster. Links das große von der Küche.
Die Architektur eines Reihenhauses beruht auf
der Stapelung einer Fünfzimmerwohnung. Während
man jedoch vor einer Fünfzimmerwohnung stehend
nie genau weiß, wie sie geschnitten sein wird, ist dies bei Reihenhäusern absolut sicher. Das Haus der Marcipanes unterscheidet sich in nichts von jenen etwa acht Millionen Reihenhäusern, die es sonst noch
überall in Deutschland gibt. Gewöhnlich kommt bei
diesem Menschenverwahrtypus hinter dem Eingang
erst einmal die so genannte Schmutzschleuse. Dort
kann man sich die Schuhe ausziehen, rechts geht’s
ins Klo. Die Kloschüssel ist unter dem Fenster
angebracht. Links vom Hauseingang die Küche, die
immer eine zweite Tür zum Wohnzimmer hat. Im
Flur geht rechts eine geschwungene Treppe nach
oben und nach unten. Den Grad der Bürgerlichkeit
der Bewohner vermag der geübte Reihenhaus-
besucher an Geländern und Stufen abzulesen. Sind
diese zum Beispiel von matter schmiedeeiserner
Eleganz, so hat man es fast immer mit Volksmusik-
freunden zu tun, während die ungehemmte Verwen-
dung von astlochreichen Holzsorten unschwer auf
Pädagogen schließen lässt. Auf der linken Seite des Flures immer: Telefontischchen und Garderobe.
Geradeaus führt der Weg ins Wohnzimmer dessen
Türen immer Fenster haben, weil sonst zu wenig
Licht in den Flur fällt. Meistens sind diese Fenster aus geriffeltem Glas oder haben eine rustikale
Butzenscheibenoptik, die zu den Schwanenhals-
griffen an den Türen passt.
»Hallo, klingeln«, sagt Sara und schubst mich
erneut. Unter der Klingel ist ein braunes Schild angebracht, auf dem aus Salzteigwürsten geformt
»Marcipane« steht. Die Buchstaben werden im Laufe
des Wortes immer enger und kleiner, so dass der
Name nur mit einiger Fantasie zu entziffern ist. Es sieht so aus, als klingele man bei Familie Marciq3?g.
»Hier sind wir falsch, hier wohnen die Mar-
ciq3?gs«, sage ich.
»Das Ding habe ich in der Schule gemacht«, erwi-
dert Sara und drückt auf die Klingel. Ding Dong.
Fast in derselben Sekunde geht die Tür auf und
Frau Marcipane steht vor mir. Sie sieht tatsächlich aus wie ihre Tochter, was mir auf Anhieb gefällt.
Offenbar hat sie bereits seit einiger Zeit hinter der Tür gestanden, wollte aber nicht öffnen, damit wir
nicht den Eindruck bekommen, sie könne es
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