Maria, ihm schmeckts nicht!
Die
wissen zwar bereits von unseren Hochzeitsplänen,
weil wir ihnen davon erzählt haben, als sie uns in
der Woche zuvor besuchten, aber natürlich müssen
sich die Eltern vor der Hochzeit kennen lernen. Ein zwangloses Mittagessen soll es geben. Mein Elternhaus ist für zwanglose Mittagessen zwar nicht welt-
berühmt, doch meine Mutter ist eine großartige Kö-
chin und der Weinkeller meines Vaters enthält
Flaschen, die mit Jürgens Schätzen durchaus mithal-
ten können.
Bei diesem Gedanken wird mir kurzfristig enorm
übel und ich öffne den mit einem cremefarbenen
Flokati bezogenen Deckel des Klos. Der Geruch von
pinkfarbenen Klosteinen desinfiziert mich aber in
Sekundenschnelle – alles klar, ich werde mir nicht
die Blöße geben und bereits am ersten Tag meiner
Zugehörigkeit in dieser Familie das Klo meiner
Schwiegereltern voll kotzen.
Antonio ist bester Dinge. Er läuft in Hausschuhen
herum und dekoriert den Frühstückstisch mit aller-
hand Tand, den er aus einer Schublade der
Schrankwand holt. Auf meinem Platz liegen zwei
Zeitungen, die er eigenhändig heute Morgen für
mich gekauft hat, wie er mir zur Begrüßung mitteilt.
In seiner Vorstellung von mir gehören eine gewisse
Verzierung des Frühstückstisches und das Lesen von
mindestens zwei Zeitungen nach dem Aufstehen
einfach zum Leben dazu.
Das Frühstück ist übrigens ziemlich unitalienisch,
will sagen reichhaltig. Schließlich wohnt Antonio bereits seit über dreißig Jahren in Deutschland und
weiß ein Käsebrötchen am Morgen durchaus zu
schätzen. Außerdem ist er mit einer Deutschen ver-
heiratet. Es gibt nicht viele Bereiche im Leben der beiden, in der sie eindeutig die Regeln festlegt. Zumindest beim Frühstück scheint das absolut der Fall.
Es gibt allerdings Espresso, da hat er sich durchgesetzt. Diese Verschränkung von Lebensgewohnheiten
ist wie das Bild von Neapel und der Holzteller im
Flur, nämlich der Versuch, Mentalitätsunterschiede
durch gemeinschaftlich begangene Verbrechen am
guten Geschmack zu überwinden. Ich glaube, so ist
Europa.
»Möchtet ihr ein bisschen spazieren gehen?«, fragt
Sara. »Die frische Luft wird dir gut tun.«
»Oh, wir gehen spazieren!«, ruft Antonio erfreut.
»Ich zeige dir Schönheite hiere inne Ort und die
Attraktionen von diese schöne Umgebung.«
Also gehen wir spazieren, das heißt, wir stehen
mehr spazieren, als dass wir gehen. Antonio muss
immer mal wieder innehalten und etwas erzählen.
Dafür bleibt er stets stehen, weil er mir dann besser in die Augen sehen kann. Wir unterhalten uns wie
richtige Männer. Eigentlich unterhält sich Antonio.
Ich werde unterhalten. Das macht mir aber nichts
aus, ich kann auch mal schweigen, besonders heute.
Die Hauptattraktionen der Nachbarschaft sind: der
Garagenhof, die Garage, der dort geparkte Merce-
des, Kinderspielplatz, Bäcker, Getränkemarkt und
Lottoannahmestelle.
Dorthin zieht es Antonio mit aller Macht, denn
Lotto ist für ihn das Größte. Er spielt immer
dieselben Zahlen, nämlich seinen sowie die
Geburtstage seiner Kinder. Das führt zwangsläufig
dazu, dass kein Zahlenwert höher ist als 11, denn
seine Töchter haben nun einmal am 6. 7. und am 10.
1. Geburtstag, er selbst am 2. IL, so dass er immer wieder aufs Neue 1,2,6,7, 10, 11 tippt.
»Wann haste du Geburtstag?«, fragt er mich.
»Am 28. Oktober«, antworte ich, und er kreuzt
anstelle der 11 die 28 an.
»Wenne ich ein Million gewinne, bekommst du die
Hälfte«, versichert er mir, und es besteht überhaupt kein Zweifel, dass er das auch so meint. Es gilt das gesprochene Wort.
»Binne i keine Geizhalse, liebe Jung. Wenni habe,
gebe auch und machte mir nix aus.«
Ich warte auf die üblichen Schwiegersohn-Gesprä-
che, irgendwie habe ich mich sogar darauf gefreut. Es ist doch schön, wenn man ermahnt wird und die Fragen beantworten muss, die ein besorgter Vater sich
stellt. Ob man die Tochter denn auch ernähren könne.
Und ob man Kinder wolle, schließlich seien Kinder
das Salz der Erde. Und was denn der eigene Vater
beruflich mache. Und ob man Abitur habe. Und wie
das alles weitergehe. Aber ich warte vergebens.
Antonio, stelle ich fest, hat sich für mich entschieden, nicht ich mich für seine Tochter. Ich könnte auch
Bratschist in einem usbekischen Kammerorchester
sein oder Schiffschaukelbremser auf der Kirmes oder Außenminister von Österreich.
Als habe er meine Gedanken erahnt, bleibt er
plötzlich stehen und sagt
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