Maria, ihm schmeckts nicht!
Fluchtfahrzeug gebraucht. Der Zeitpunkt
für den Bedarf eines Neuwagens bemisst sich mit-
unter auch daran, ob das Auto noch seinen sozialen
Zweck erfüllt oder gefällt. Letzteres ist ein wesentliches Kriterium, denn mit Autos ist es wie mit
Ehepartnern: Nur die Wenigsten werden mit den
Jahren schöner. Der PKW von Antonio Marcipane
zum Beispiel hat seine besten Tage hinter sich, wenn er überhaupt jemals beste Tage hatte.
Es handelt sich um einen Mercedes, 12 Jahre alt,
auberginefarben, ein Diesel von dumpf nagelnder
Grandezza. Es hat Zeiten gegeben, in denen sams-
tags die gesamte Familie Marcipane dieses Auto
gepflegt hat, als sei es die Bundeslade. Seine Töchter und seine Frau putzten und schäumten und saugten;
Toni überwachte die Arbeiten und übernahm
schließlich die Königsdisziplin und einzig würde-
volle Tätigkeit bei der Autowäsche: das Abledern.
Das Leder hatte einen eigenen Nagel in der Marci-
panschen Garage.
Selbstverständlich ist dieser Mercedes kein
bisschen verbeult oder zerkratzt. Die Sitze dieser Fa-bergé-Ei-artigen Kostbarkeit haben Schonbezüge,
denn Toni schwört auf Schonbezüge. Der Sinn dieser
Dinger hat sich mir nie erschlossen. Der Schonbezug spiegelt ein fast paranoides Verhältnis des Menschen zu seinen Dingen: Man sitzt nicht auf dem Original-bezug, damit dieser nicht verschleißt, hat aber davon gar nichts, weil man ja jahrelang auf den immer
schmuddeliger werdenden Schonbezügen sitzt. Erst
wenn das Auto mal verkauft wird, nimmt man sie ab
und stellt fest, dass das Auto ohne diese versifften Teile viel schöner gewesen wäre. Antonios Schonbezüge sind dunkelgrau und flauschig, in dem Fell auf der Fahrerseite sind über die Jahre mehrere Kilo
Brötchenkrümel wie im Nichts verschwunden.
Am Innenspiegel baumeln das Maskottchen der
Fußball-WM 1990 und ein Miniatur-Pferdehalfter.
Die Windschutzscheibe hat oben einen grünen Rand.
um die Sonneneinstrahlung zu vermindern, links au-
ßen kleben die bunten Sticker der schweizerischen
Autobahngebühr, zwölf Stück, wie Trophäen sauber
von oben nach unten aufgeklebt.
Antonio hat sein Auto pflichtgemäß mit einer
Handy-Freisprechanlage nachgerüstet und einen Ge-
tränkehalter eingebaut. Es ist ein braves Auto mit ka-rierten Decken auf dem Rücksitz, einem leicht muf-
figen Geruch von Kaffee und Moschus, einer nahezu
ruckelfreien Automatik und einem Radio mit Casset-
tenspieler. Antonio hat aber noch nie eine Cassette in seinem Auto gehört, weil er dies erstens auch zuhause nicht macht und ihn zweitens das Fahren bereits so
aufwühlt, dass an leichte Unterhaltung nicht zu denken ist. Da er eher ein passiver Verkehrsteilnehmer ist, wurde der Wagen noch nie ausgefahren. Als ich ihn
einmal fragte, wie schnell sein Auto sei, antwortete er trocken: »Underte«, denn ein Auto kann Antonios
Logik zufolge unmöglich schneller fahren als sein Besitzer. Führe er einen Ferrari, so hieße dessen Höchst-geschwindigkeit ganz sicher: »Underte«.
Der Wagen ist unfallfrei, was Antonio darauf
zurückführt, dass er »eine brillante Autiste« ist und hat inzwischen ehrliche 170 000 Kilometer absolviert.
Hinten zwei Aufkleber, links und rechts auf dem
Kofferraumdeckel: »Seidenweberstadt Krefeld« steht
auf dem glitzernden Stadtwappen am linken Rand,
»Latin Lover« auf der anderen Seite. Den zweiten
habe ich ihm aus Spaß geschenkt, als wir bei einem
Autogrill in Bologna eine Pause machten. Ich fand
das einen guten Witz, aber er lachte nicht, sondern zog mit ernster Miene die Folie ab und klebte den albernen Sticker auf sein Auto. Er wollte mir damit eine Freude machen.
Der Diesel-Merser ist ein solides Gefährt, eines jener ausgedienten aber nicht schrottreifen Fahrzeuge, die zu tausenden bei Gebrauchtwagenhändlern am
Stadtrand stehen und dort ihre Geschichten erzählen.
Leider will die keiner mehr hören, weshalb diese Kisten nahe an nichts wert sind. Antonios Mercedes
ahnt noch nichts von seinem Schicksal.
Mein Schwiegervater ruft an, als wir gerade zu
Abend essen wollen. Nach dem üblichen Geplänkel
(Verkündung der Lottozahlen von dieser und den ver-
gangenen Wochen nebst Bejammerung seines Schick-
sals als Arbeitnehmer und Beweinung der Verschwen-
dungssucht seiner Frau, die ihm fünf Paar neue
Socken gekauft hat) weiht er mich in seinen Plan ein.
»Iste tippeditoppe, der Mercedes, aber mei Lieba«,
Kunstpause, »ni mehr so schick.«
Fast scheint es mir, als bäte er um meine
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