Mariana: Roman (German Edition)
schmalen, gequälten Lächeln. »Rachel und ich wollen nach Norden«, erzählte er. »Nach Schottland. Wir hoffen, dort von vorn beginnen zu können, fern von den Schatten, die uns hier verfolgen.«
Ich hatte mich ebenfalls zu einem Lächeln gezwungen und ihm alles Gute gewünscht, obwohl mir das Herz in der Brust schmerzte. Und dann war er auf dem großen grauen Hengst davongeritten, und ich glaubte, eine Spur des alten Stolzes im Gang des Pferdes zu erkennen.
Der Diebstahl wurde bald entdeckt, der Dieb aber nie gefunden. Während Arthur de Mornays Männer die Landstraße abgesucht hatten, war Navarre schon über die Hauptstraße nach Bristol galoppiert, Evan Gilroy, auf seinem Rücken und mit ihm meine Grüße an Rachel. Ich würde sie nie wiedersehen.
Die Erinnerung an dieses Zusammentreffen ließ mich traurig lächeln, und dicht neben mir hörte ich John tief aufseufzen. Ich wandte mich ihm zu und sah, daß er mit einer Mischung aus Neugier und Verzweiflung zu mir herabblickte.
»Du bist ein Rätsel, Cousine, das ich eines Tages lösen möchte.« Er beugte sich herunter und küßte mich auf die Wange. »Du wirst doch nicht zu schwer arbeiten, während ich im Dorf bin? Du scheinst in letzter Zeit schnell zu ermüden.«
»Der Fluch des Alters.« Mein Lächeln vertiefte sich. »Aber um deinetwillen werde ich mich nicht überanstrengen. Ich bleibe hier einfach noch ein Weilchen stehen und betrachte die Felder.«
John sah mich erneut an und zögerte, als wolle er noch etwas sagen oder fragen, aber dann war der Augenblick vorbei. Lächelnd wandte er sich ab und ließ mich allein, und ich richtete meinen Blick wieder auf den breiten, wogenden Teppich aus Gold und Grün und machte die blendende Sonne dafür verantwortlich, daß meine Sicht plötzlich verschwamm …
Jäh und eindringlich unterbrach das Klingeln die Stille. Ich blinzelte und war nicht länger Mariana, sondern wieder Julia, die vom schrillen Klang des Telefons durch die offene Küchentür gerufen wurde. Es kostete mich ungeheure Mühe, meine Füße von der Stelle, auf der sie standen, loszureißen, ganz so, als ob ich dort Wurzeln geschlagen hätte. Das Telefon klingelte weiter, während ich langsam ins Haus ging, um abzunehmen.
»Na, du hast dir aber Zeit gelassen«, flachste die Stimme meines Bruders, und ich ließ mich gegen die Wand sacken und rieb mir die Stirn mit müden Fingern.
»Ja, schon«, antwortete ich, »ich hatte zu tun.«
»Wieder gegärtnert?«
»So ähnlich.«
»Ist alles in Ordnung mit dir?« Sein Tonfall wurde strenger. »Du klingst so komisch.« Und bevor ich noch antworten konnte: »Du bist wieder zurückgegangen, oder? Was ist jetzt wieder passiert?«
»Ich werde dir alles erzählen, Tom, ich verspreche es dir. Nur nicht jetzt. Ich will jetzt über gar nichts reden. Ich will nur noch ins Bett und schlafen.«
»Sollte nicht jemand bei dir sein? Ich könnte meine Predigten ein wenig verschieben und zu dir kommen. Oder vielleicht Vivien –«
»Nein.« Die glatte Weigerung klang grob, aber ich konnte nicht anders. »Ich will niemanden bei mir haben, Tom. Wirklich nicht. Ich will nur allein sein.«
»Aber Julia –«
»Oh Tommy, bitte!« Ich verlor die Geduld. »Hör einfach damit auf, ja?«
Er verabschiedete sich mit einer Entschuldigung. »Ruf mich an, wenn du dich besser fühlst, Liebes«, bot er mir noch an, und ich fühlte mich wie eine undankbare, zänkische Eigenbrötlerin, als ich den Hörer auflegte.
Ich schlich zurück in die Küche und sah zum Fenster hinaus auf die Stelle, an der ich gestanden hatte, dort, in dem ehemaligen Garten, wo eine traurige junge Frau Ausschau gehalten hatte und alt geworden war, während sie auf einen Liebsten wartete, der niemals kam.
Oder vielleicht, dachte ich, war er ja doch zu ihr zurückgekehrt, in der Form, wie er mir zu Anfang erschienen war – eine hochragende, stille Gestalt auf einem grauen Pferd, die immer wieder im Schatten der schützenden Eiche stand, verlockend nah, doch ewig unerreichbar.
Wie viele Jahreszeiten waren gekommen und gegangen, wieviel Schnee war gefallen und wieder geschmolzen, wie viele Blumen waren erblüht, um in der Sommersonne zu welken, während Mariana und Richard gewartet hatten, hilflos gefangen in der Zeit … auf jenen Zeitpunkt gewartet hatten, in dem ihre Seelen sich noch einmal in der Ekstase einer irdischen Liebe vereinen konnten?
Und nun war dieser Zeitpunkt gekommen –, aber ich konnte keine Freude darin finden, keine klare
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