Mariana
suchen, das ihr abhanden gekommen sei.
«Hör mal», sagte sie so ganz nebenbei, während sie in Marys Kommode kramte, «du erinnerst dich doch, daß ich dir von meinen kleinen - äh — Geldsorgen erzählt habe?»
«Ja», antwortete Mary, hielt mit dem Kämmen inne und betrachtete im Spiegel den wohlgeformten Rücken ihrer Mutter.
«Die sind vorbei. Die Sache ist jetzt in Ordnung. Ist das nicht herrlich?» Sie drehte sich mit einem strahlenden Lächeln und Marys besten Strümpfen in der Hand zu ihr um.
«Was soll das heißen?» fragte Mary schnell. «Hast du bei Wilkie alles bezahlt?»
«Erraten!»
«Aber du hast doch gesagt, du brauchst tausend Pfund. Die kannst du doch nicht plötzlich verdient haben.»
«Hab ich auch nicht.» Ihre Mutter sah ein bißchen schuldbewußt aus. «Es ist — es ist eine Art Darlehn. Wie dem auch sei, ich hab das Geld jedenfalls.»
«Von wem?»
«Das sage ich dir nie, also versuch gar nicht erst, mich danach zu fragen, mein Herz.» Mrs. Shannon schritt frohgemut zur Tür. Mary hielt noch immer den Kamm über ihrem Kopf und starrte in den Spiegel, während ihre Gedanken wild durcheinandergingen. «He», sagte sie wie jemand, der im Traum spricht, «hier werden keine Strümpfe gemaust. Leg sie zurück.» Aber ihre Mutter war bereits verschwunden.
Monate später, lange nachdem sie diesen schwierigen, ganz und gar unmöglichen Brief an Pierre geschrieben und er es aufgegeben hatte, sie mit Anrufen, Telegrammen und zu guter Letzt mit bitteren, vorwurfsvollen Briefen zu bombardieren — mit denen sie, wie sie wußte, glimpflicher davonkam, als sie es verdiente — , kam sie zu der Erkenntnis, daß sie ihn niemals, unter keinen Umständen geheiratet hätte. Jetzt, nachdem es ungefährlich war, ihre Beziehungen zu ihm bei Licht zu betrachten und gnadenlos zu untersuchen, war es kaum zu fassen, auf welch schwachem Fundament sie beabsichtigt hatten, ihr gemeinsames Leben aufzubauen. Abgesehen von der gegenseitigen Zuneigung bestand zwischen ihnen kein anderes Band als Vergnügungen und Partys, und selbst darin war ihr Geschmack sehr verschieden.
Das Leben war wie ein Zusammensetzspiel, aber wenn man selbst den Versuch machte, die einzelnen Steine aneinanderzusetzen, machte man es im allgemeinen falsch: Pierre hatte Geld. Sie brauchte Geld. Pierre war liebenswert, und er liebte sie. Sie wollte ihn heiraten. Sie hatte sich eingebildet, daß diese Bruchstücke das richtige Muster ergäben. Sie hatte versucht, zwei Stücke, die nicht zusammengehörten, zusammenzufügen, aber plötzlich erhielt das Spiel ohne ihr Zutun, durch die Hand eines Dritten, ein ganz anderes Muster.
Sie wußte noch immer nicht, wer ihrer Mutter das Geld geliehen hatte. Mrs. Shannon wahrte darüber stillvergnügt Diskretion. Mary beschuldigte sie abwechselnd des Betrugs, des Bankraubs oder eines unmoralischen Lebenswandels, aber ihre Mutter schüttelte nur den Kopf und lachte. Eine Ecke des Zusammensetzspiels, das Marys Leben darstellte, hatte auf unerklärliche Weise das richtige Muster erhalten. Eigentlich hatte man doch wenig Einfluß auf das eigene Schicksal. Das einzige, was man tun und wobei einem niemand helfen konnte, war, zu sich selbst zu finden.
8
«Aber, liebste Mary», sagte Mrs. van de Meyer, «ob es Ihnen gefällt oder nicht, darauf kommt es ja gar nicht an. Das Haus ist einfach bezaubernd. Halten Sie bitte mal hier, damit ich es mir in Ruhe ansehen kann. Ahhh —» Sie legte ihre plumpen, kleinen pelzbekleideten Ärmchen auf den Rand der Autotür, stützte das Kinn auf und musterte durch ein randloses Pincenez das Haus.
«Es ist doch im georgianischen Stil gebaut?» fragte Mary.
«Allerdings. Stilechter könnte es gar nicht sein.»
Das Haus starrte sie aus blinden, symmetrisch angeordneten Fenstern an. Von der Hauptstraße nur durch eine niedrige Mauer und einen Streifen Parkgelände getrennt, lag es in all seiner schroffen Eckigkeit vor ihnen. Keine Kletterpflanzen hatten gewagt, die Würde der roten und grauen Ziegelsteine anzutasten, kein Efeu überwucherte die preußisch strenge Linie der beiden vorspringenden Seitenflügel.
«Ahhh», seufzte Mrs. van de Meyer abermals, «genauso werde ich mir von Sam Howard mein Haus in White Plains bauen lassen. Es ist so unerhört englisch —»
«Ich dachte, die Häuser in Stratford hätten Ihnen heute so gut gefallen?»
«Ja, das haben sie, aber vielen anderen Leuten auch. White Plains strotzt von Balkendecken und Kaminecken. Charlotte Schumacher,
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