Mariana
verübeln, daß die Sache mich interessiert. Ich meine, meine zukünftige Hauptdarstellerin muß ja schließlich gut sein.»
«Das ist schon alles in Ordnung, Geoffrey», mischte sich Mrs. Shannon ein, die eine Feindseligkeit witterte, deren Ursache sie nicht kannte. «Es werden viele Stücke gespielt, von Shakespeare und so weiter. Zum Semesterschluß hat Mary eine große Rolle in einem Stück von Barrie.»
«Ja, aber selbst Shakespeare braucht ein Publikum. Woher weißt du, ob du schlecht bist, wenn keiner da ist, der mit Tomaten nach dir schmeißt. Macht ihr denn keine Aufführungen oder so was?»
«Natürlich machen wir das», sagte Mary voreilig. «Eine Unmenge Leute kommt zur Prüfung am Ende des Semesters. Prominente, Verwandte, Freunde und —» Sie brach plötzlich entsetzt ab, während sich Onkel Geoffrey auf ihre Bemerkung stürzte: «Tatsächlich? Aber das ist ja fabelhaft. Deine Mutter und ich, wir werden in der ersten Reihe sitzen und wie verrückt klatschen, was, Lil?»
«Bitte nicht», sagte Mary schwach, «es wäre mir lieber, ihr würdet gar nicht —»
«Warum denn nicht? Nichts wird mich davon abhalten.»
«Selbstverständlich werden wir kommen und klatschen», sagte Mrs. Shannon. «Du hast mir gar nicht erzählt, daß das gestattet ist. Was spielst du? In dem Stück von Barrie?»
«Ja, in », murmelte Mary.
«Nie was davon gehört», sagte Onkel Geoffrey, «was hast du denn für ‘ne Rolle?»
«Na ja, ich bin die Margaret, so eine Art Traumtochter.» Es klang ziemlich idiotisch, aber für weitere Erklärungen war ihr zu elend zumute. Es war schlimm genug, vor Fremden diese blödsinnige Vorstellung geben zu müssen, aber der Gedanke, daß jemand, der sie kannte, Zeuge ihrer Blamage sein würde, war mehr, als sie ertragen konnte. Sie hatte ihrer Mutter ja absichtlich nichts davon gesagt.
Sie wußte, daß sie vor Onkel Geoffrey keine Ruhe mehr finden würde. Schon jetzt hörte sie, wie er sie nachäffte: «Daddy, ich will nicht nur deine Traumtochter sein.»
Immer wieder, bei jeder Gelegenheit, fragte er sie über die Schauspielschule aus, und immer wieder verteidigte sie sie mit eigensinnigem Stolz, obwohl sie immer weniger gern dort hinging. In den ersten Tagen war Onkel Geoffrey sehr beschäftigt damit, alte Freunde zu besuchen und «Kontakte aufzunehmen», wie er das geheimnisvoll nannte, aber am Sonntag vormittag machte er mit Mary einen Spaziergang durch den Park. Sie lehnten sich an das Geländer und beobachteten auf dem Reitweg die Kavalkade. Sie bestand aus alten Männern, die ihre inneren Organe durcheinanderschütteln ließen, und aus jungen Mädchen mit wippenden Brüsten. Onkel Geoffrey betrachtete angelegentlich ein Revuegirl mit einer gelben Bluse, das nur mit Hilfe der Zügel die Balance hielt. «Ist was?» fragte er ganz nebenbei.
«Nein, gar nichts», sagte Mary hastig, die gerade ihren kummervollen Gedanken nachgehangen hatte. Wieso denn?»
«Ach, nur so. Ich hatte den Eindruck, daß du nicht mehr so viel lachst wie früher.»
«Ich lache, wenn es was zu lachen gibt. Du kannst ja nicht erwarten, daß ich andauernd loskreische. Am vielen Lachen erkennt man den Narren, so ähnlich heißt doch wohl das Sprichwort.»
«Zum Teufel, du weißt ganz genau, daß ich das nicht meine, aber —» Er zog mit dem Stock einige Striche in den Sand, und seine Vorderzähne ragten weit über sein Kinn hinaus. «Nimm um Himmels willen das Leben nicht so ernst, ganz egal, was passiert. Du solltest jede Minute genießen. Warum — das siehst du erst ein, wenn du zum Genießen zu alt bist. Na so was, ich rede schon, als ob ich dein Großvater wäre. Das kannst du doch nicht zulassen. Ich schlage vor, wir bummeln weiter und hören der Kapelle zu. Kommst du?» Er schenkte ihr sein ganz spezielles Filmlächeln und schlenderte — den Spazierstock herumwirbelnd — den Weg entlang. Mary hängte sich bei ihm ein, den Kopf hielt sie abgewandt; nur verschwommen sah sie die entgegenkommenden Spaziergänger. Er meinte es so gut. Er hatte es immer gut mit ihr gemeint, aber weder er noch irgend jemand sonst verstand das Ausmaß ihres Unglücks. Sie hielt sich an seinem Arm fest und stolperte über einen kleinen Terrier. Die Tränen, die ihr aus Mitleid mit sich selbst kamen, verschleierten ihr den Blick.
Nur dadurch, daß sie bei allen möglichen Gelegenheiten an Bob Darwin herantrat, sich fordernd vor ihm aufpflanzte und vorwurfsvoll mahnte: «Könnten wir nicht auch mal unsere Szene
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