Mariana
Applaus. Er galt bestimmt nicht Jordan, der wie ein Abteilungsleiter aussah, und auch nicht Conni Rogers, die sich vergeblich bemüht hatte, eine altjüngferliche Tante darzustellen. Mary sah, wie die Köpfe der drei Kritiker, die in der ersten Reihe saßen, sich über den Tisch beugten, auf dem sie ihr Urteil zu Papier brachten. Der rechte mit dem krausen, schwarzen Haar war vermutlich Mervyn Garstein. Er sagte etwas zu dem in der Mitte, der heftig nickte, und schrieb dann weiter. Rocky saß sehr reserviert neben ihnen und machte ein Gesicht, als wolle er sagen: «Ob sie euch gefallen oder nicht, ist mir ganz egal.» Wahrscheinlich hatte er ihnen schon vorher bei einem opulenten Mittagessen mitgeteilt, wer gut sei und wer nicht. Mary blieb noch sitzen und sah zu, wie Bob Darwin im schwarzen Trikot und Mona Ray, einer der Stars aus dem dritten Jahr, eine reichlich süßliche Balkonszene zum besten gaben, dann verließ sie den Saal und kehrte in die Garderobe zurück. Die sechs oder sieben Szenen, die sie mitangesehen hatte, hatten sie nur noch mehr deprimiert, denn keiner, nicht einmal der Schlechteste, war so miserabel wie sie. Sie hatte gehofft, daß sich doch irgend jemand vor ihr blamieren würde, um den Eindruck ihrer eigenen Blamage abzuschwächen, aber bis jetzt hatte sich der eine oder andere höchstens mal ein bißchen lächerlich gemacht.
Schweren Herzens schmierte sie sich mit zitternder Hand ganz dick Schminke ins Gesicht in der Hoffnung, dadurch jenseits des Rampenlichts den Eindruck großäugiger Unschuld zu erwecken. Sie zog ihre Turnschuhe an, steckte die Kämme in die Tasche und begab sich nach oben hinter die Bühne, um die Situation zu erkunden und nach Angela Ausschau zu halten. Sie brauchte Trost.
«Shannon», flüsterte die heisere Stimme von Miß Gould, die sich auf ihren dicken Kreppsohlen leise hinter sie geschlichen hatte, «Sie wissen doch ganz genau, daß Sie erst hier heraufkommen dürfen, wenn Sie dran sind. Gehen Sie in die Garderobe und warten Sie dort bis zu Ihrem Auftritt.»
Mary hatte mit einem flüchtigen Blick festgestellt, daß die Szene aus , in der Myrtle Drews Beine in Shorts aufs vorteilhafteste zur Geltung kamen, fast vorbei war. Nur noch eine Szene also. Sie lief die dunklen Korridore entlang, memorierte ihre Rolle und versuchte der wachsenden Panik, die sie keine Minute stillstehen ließ, Herr zu werden. Jetzt hörte sie Schritte, sie wurde gesucht. Gladys Hoover, überwältigt von ihrer eigenen Wichtigkeit, teilte ihr mit, sie solle sich beeilen, sie müsse auf die Bühne.
«Schon gut», sagte Mary, «es ist noch massenhaft Zeit.» Aber als Gladys davongestürzt war, um irgend jemand anderen in Bewegung zu setzen, lief Mary atemlos zurück, nur um festzustellen, daß gerade erst die Möbel der letzten Szene fortgeräumt wurden. Als sie hinter dem heruntergelassenen Vorhang über die Bühne ging, hatte sie plötzlich einen ganz verrückten, einen tollen Gedanken: «Vielleicht bin ich gut. Wenn ich auf der Bühne stehe, die Scheinwerfer sind an und das Publikum ist da, vielleicht bin ich dann völlig verwandelt.»
Sie klammerte sich an diese absurde Vorstellung, während sie in den Kulissen mit Bob die letzten qualvollen Minuten verbrachte. Braungeschminkt, mit ein paar Falten und grauen Schläfen sah er großartig aus.
Als die Bühne endlich leer war, in dem Augenblick, als Miß Gould auf der anderen Seite die Hand auf das Rad legte, um den Vorhang hochzukurbeln, dachte Mary plötzlich: «Ich kann nicht — ich kann nicht auftreten.» Aber bevor sie ein zweites Mal denken konnte, war der Vorhang hochgeschwebt, sie rannte in ihren Turnschuhen auf die Bühne, und bevor sie noch die erste Zeile gesagt hatte, sah sie, wie ihre Mutter und Onkel Geoffrey mit kugelrunden Augen zu ihr hinaufstarrten.
Es heißt immer, daß man einzelne Personen im Publikum gar nicht wahrnähme, wenn man auf der Bühne stände, und daß man ohne jede Hemmung sein Innerstes in das dunkle Rund des Zuschauerraumes verströmen könne. Mary spielte in einem kleinen, schlecht verdunkelten Raum und war sich der vertrauten Gesichter ihrer Mitschüler, die neben ihren erstaunten Eltern saßen, quälend bewußt. Mr. Shaw machte die Sache ungeheuren Spaß, ihre Mutter hockte ängstlich auf der Stuhlkante, und Onkel Geoffrey klemmte sich sein Monokel ins Auge, als traue er seinen Augen nicht. Rocky — in der ersten Reihe — runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und blies die Lippen
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