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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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sein Gesicht hinter zuckenden Händen. «Das ist doch keine Pantomime. So werden Sie sich niemals in einen Jungen verwandeln. Warum üben Sie nicht mal das Aufstecken?»
    «Das tue ich ja, aber —» begann Mary und trat an die Rampe. Ihr Haar war an der einen Seite notdürftig hochgezwiebelt, auf der anderen Seite hing es in Strähnen herunter.
    «Lassen Sie es sich von Ihrem Kindermädchen zeigen», seufzte Rocky, der von der fixen Idee nicht loskam, daß Mary von einer Legion sie verhätschelnder Zofen umgeben war. «Sonst muß ich diese Stelle streichen, und wenn ich noch mehr von der Szene streiche, dann lohnt es sich überhaupt nicht mehr, sie zu bringen. Nicht, daß es sich jetzt lohnte», fügte er wie zu sich selbst, aber durchaus hörbar, hinzu. «Los, weiter», scheuchte er sie mit dem Buch in der Hand von der Rampe fort, «wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Lassen Sie die Haare runter und fangen Sie an der Stelle noch einmal an.»
    Mary sah verwirrt in die Ecke, wo die Souffleuse saß. Sie hatte ihren Text vergessen.
    «Du denkst daran, wie schwierig es mit ihr werden wird», soufflierte Myrtle Drew mit unnötig lauter, klarer Stimme. Mary quälte sich weiter, und sie kam vor Verlegenheit ins Schwitzen, als sie Bobs Knie umfassen und sagen mußte: «O wie du mich liebst, Daddylein.»
    «Ja, das tue ich», sagte Bob, dessen Mund gütig lächelte und dessen Blick von Abneigung erfüllt war. Endlich erschien Muriel Willoughby als Landstreicherin und erlöste Mary vom Scheinwerferlicht — es war ein ebenso kurzer wie trostloser Auftritt, der nur durch Rockys ununterbrochene spöttische Kommentare belebt wurde.
    Nach Bobs Abgang — vorher hatte er noch ein französisches Liedchen zu singen, und sein Französisch war französischer als das jedes Franzosen — mußte Mary von einem imaginären Baum zum anderen schweben. Ihre tolpatschigen Bewegungen machten es einem schwer, an ein Geisterwesen zu glauben, das in die Traumwelt zurückkehrt.
    «Daddy, komm zurück», keuchte sie, «ich will nicht nur deine Traumtochter sein.»
    Da der Vorhang bei den Proben nicht heruntergelassen wurde, blieb sie unsicher auf der Bühne stehen, während Rocky ihr mitteilte, daß sie wie ein Unglücksrabe krächze, daß sie Tanzunterricht nehmen solle und daß es geradezu verbrecherisch von ihm sei, zuzulassen, daß eine der bezauberndsten Szenen, die Barrie je geschrieben habe, derartig verhunzt würde.
    Als er fertig war, rannte Mary von der Bühne hinunter, rempelte Bob nicht ohne Absicht an und ließ sich, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, neben Angela auf ihren Stuhl fallen. Außer sich vor Wut kaute sie an ihren Nägeln.

    Als Onkel Geoffrey in London eintraf, holten Mary und ihre Mutter ihn auf dem Bahnhof ab. Mrs. Shannon zitterte vor Aufregung und sagte jedesmal: «Da ist er», wenn irgendwo in der Ferne ein Fremder auftauchte.
    «Da ist er — wirklich, da ist er.» Sie stürzte davon.
    «Nein, ist er ja gar nicht», sagte Mary mechanisch, aber diesmal war er es doch. Der liebe, gute Onkel Geoffrey, er sah ein bißchen mitgenommen aus, so, als seien die Nächte auf der Queen Mary etwas anstrengend gewesen. Er sah genauso aus wie früher, und doch war ein kleiner Unterschied da. Er trug ein Monokel, einen grünen, weichen Filzhut, einen gerade noch erträglich gemusterten Anzug und dazu passende Schuhe. Aber es war, als trüge er das nicht, weil er Onkel Geoffrey war, sondern weil er versuchte, wie Onkel Geoffrey auszusehen. Man hatte das Gefühl, daß sogar seine Zähne nur vorstanden, weil sie vertraglich dazu verpflichtet waren. Er lachte viel und laut, und seine Redeweise war gespickt mit unfreiwilligen Amerikanismen.
    «Cheerio», sagte er zu einer Bekannten, und einer anderen rief er zu: «Ruf mich mal an, Süße!»
    Sein Erstaunen darüber, Mary so erwachsen vorzufinden, tat ihr wohl. Mit Kenneraugen betrachtete er sie von Kopf bis Fuß und sagte: «Warum hat mich keiner darauf vorbereitet, was ich für eine tolle Nichte habe? Und was meine Schwester angeht — wo, zum Teufel, hast du diesen Hut her, Lil?»
    «Ein Glück, daß er dir gefällt», sagte Mrs. Shannon und hängte sich bei ihm ein. «Komm, wir wollen nach Hause, es gibt wahnsinnig viel zu erzählen. Dein Gepäck schicken wir mit einer Taxe vor.»
    Mary hängte sich auf der anderen Seite bei ihm ein, sie verließen den Bahnhof und wanderten am Victoria Embankment entlang. Die Abendsonne schien ihnen ins Gesicht. Sie überschütteten ihn mit Fragen,

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