Marianne & David (German Edition)
britischen Pubs aus-schließlich Männer verkehrten, während den Frauen der mit Bar gekennzeichnete Teil derselben Wirtsstube vorbehalten war.
Er musste schmunzeln, aber sofort wurde sein Gesicht wieder ernst. Wenn er in seiner Heimat ein Lokal betreten würde, in dem sich ausschließlich Männer aufhielten, würde das ein-deutige Rückschlüsse zulassen. Einmal, ein einziges Mal, hatte er es gewagt, ein solcher Treffpunkt aufzusuchen. Der Vorfall in den Hornsey Baths war ein so einschneidendes Erlebnis gewe-sen, dass er dem auf den Grund gehen musste. Also ließ er eine Woche später den Bowling-Abend ausfallen -natürlich nicht, ohne sich eine passende Entschuldigung zurechtgelegt zu haben- und ging in die Lantern in der Tottenham Court Road.
Er kannte keine Lokale, in denen sich Männer in eindeutiger Absicht trafen. Waren das die Worte, die einer seiner Arbeits-kollegen einmal benutzt hatte? Der war, wie er selber einmal gesagt hatte, über jeden Zweifel erhaben und wohl eher ver-sehentlich nach einem Theaterbesuch mit seiner Frau dort gelandet. Das Lokal lag auf dem Weg zu ihrem Auto, das sie weiter nördlich in einer Seitenstraße abgestellt hatten und sah einladend aus. Bevor sie ihren Irrtum bemerkten, hatten sie bereits ein Guiness bestellt, waren aber danach sofort wieder aufgebrochen.
David wusste nicht, was ihn erwartete, als er das Lokal am Montagabend zögernd betrat. Hatte er geglaubt, ihm würden schon am Eingang die Kleider vom Leib gerissen oder einer der Gäste ihm heimlich ein Aufputschmittel ins Bier geben, um ihn gefügig zu machen? So war er dann auch erstaunt, dass er sich statt in einem Kuriositätenkabinett in einer Kneipe wiederfand, in der die Anwesenden laut miteinander redeten, um sich ver-ständlich zu machen oder neugierig ihre Blicke durch den Raum schweifen ließen, um einander zu taxieren. Genau das passierte aber auch in den normalen Pubs, nur dass es hier kaum Frauen gab, denen die Wertschätzung galt.
Der Laden war voll, obwohl es draußen noch nicht einmal dunkel war. Vorsichtig arbeitete er sich zu Theke durch und bestellte ein Bitter. Er wagte es kaum, sich umzudrehen, um sich die Gesichter anzuschauen, aber schließlich tat er es doch. Was ihn am meisten erstaunte, war die Tatsache, dass es nichts Erstaunliches zu sehen gab. Der Raum, in dem er sich befand, bildete die gesamte Palette des Mannestums ab: Alte und Junge waren vertreten (manche gerade erst jenseits der Schutzalter-grenze), Dicke und Spindeldürre, Rot- Blond- und Schwarz-haarige, solche mit ebenmäßigen Zähnen, die sie ihrer Jugend verdankten und jene mit einem ebenso ebenmäßigen Gebiss, welches allerdings unter den kunstfertigen Händen eines Zahntechnikers entstanden war; er sah einige, die sich auch in ihrem dritten Lebensjahrzehnt noch mit einer brutalen Form von Spätpubertätsakne herumschlugen und andere, die ihre antrai-nierten Muskeln in eng geschnittenen T-Shirts zur Schau trugen.
Der Mann, der ihm als erster angenehm auffiel, war jünger als er -wahrscheinlich Anfang dreißig- und saß an der Theke. Er hatte etwas Vertrautes, was daran liegen mochte, dass er David an einen Arbeitskollegen erinnerte, den er schon seit mehr als fünf Jahren kannte und zu dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Mit ihm ging er gelegentlich in der Mittags-pause in eines der dem Büro nahe gelegenen Pubs eine Kleinigkeit essen.
Der Mann an der Theke musste gemerkt haben, dass er beobachtet wurde, denn er drehte sich plötzlich mit einem Lächeln um und deutete auf den Hocker, der neben ihm frei geworden war.
„Zum ersten Mal hier?“
Er hatte eine angenehme Stimme und sanfte braune Augen. Die Haut in seinem bartlosen Gesicht war auffallend glatt und seine Hände äußerst gepflegt. David wusste nicht so recht, was er für eine Antwort geben sollte. War ihm anzusehen, dass er unsicher und nervös war oder gehörte die Frage einfach zum Standardrepertoire, eine billige Floskel, um einander kennen-zulernnen?
Er entschied sich, gar nichts zu sagen, was der andere offen-sichtlich als Zustimmung wertete, denn er ergänzte: „Ich bin regelmäßig hier, und dein Gesicht hab ich noch nie gesehen.“
David fühlte sich genötigt, darauf etwas zu entgegnen. Schließlich konnte er nicht den ganzen Abend stillschweigend neben jemandem sitzen, der mit ihm redete. Er merkte, dass seine Stimme belegt klang, als er zu sprechen begann, weshalb er sich laut und vernehmlich räusperte, bevor er es erneut versuchte.
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