Marianne & David (German Edition)
Das war fast jede Nacht der Fall. Vor allem im Sommer. Er hatte nie darüber nachgedacht, und jetzt musste ihn ein völlig Fremder darauf stoßen. Das verwirrte ihn einmal mehr. Dieser Mann schien in seine Seele schauen zu können, und offensichtlich tat er das, weil er ein Interesse an David hatte, ein Interesse, das über den sexuellen Rahmen hinausging.
Es war spät geworden, später als seine sonstigen Bowling-Abende. Wenn er noch länger bliebe, müsste er sich eine plausible Erklärung für Marianne ausdenken. Wie er das hasste.
„ Ich muss gehen“, sagte er mit tonloser Stimme.
„Wenn du willst, kannst du mit zu mir kommen.“ Jonathan legte ihm sanft die Hand auf den Arm. Ein schwacher Versuch, ihn zu überreden. Er schien zu wissen, dass er zu diesem Zeitpunkt keine Chance hatte. Er schob David eine Visitenkarte über die Theke. „Wenn du mal jemandem brauchst, mit dem du reden willst.“
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David bestellte sich einen weiteren Ouzo. Sein Hemd war auf dem Rücken schweißdurchtränkt, nicht nur Folge der hohen Temperaturen, sondern Ergebnis seiner Erinnerung der Begeg-nung mit Jonathan. Er hatte sich nie bei ihm gemeldet, sich sogar eingeredet, dass er keine sexuellen Signale empfangen habe, dass es im gesamten Lokal an dem Abend nicht einen gegeben hatte, der ihn wirklich interessiert hätte. Seine Schluss-folgerung daraus war die, dass er sich den Wunsch nach der Nähe eines Mannes doch nur einbildete oder er eine Phase der Verwirrung durchlief, die mit dem festgefahrenen Verhältnis zwischen ihm und Marianne zu tun hatte. Aber was war dann unter der Dusche des Schwimmbades mit ihm passiert? Der Ouzo wurde gebracht, und die Frage blieb unbeantwortet.
Am Nachbartisch begannen zwei Einheimische miteinander zu streiten. Der Ältere von beiden, ein Grauhaariger, der seinem Aussehen nach die achtzig schon überschritten hatte, ließ seine Faust auf den Tisch krachen, was dazu führte, dass die kleinen Mokkatassen auf ihren Tellern zu tanzen begannen. Offen-sichtlich hatte ihm eine Äußerung seines Kontrahenten die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Mit krächzender Stimme ging er auf den Jüngeren los, wobei er ungewollt Grimassen schnitt, die seinen riesigen Schnäuzer auf- und abhüpfen ließen. Der andere, der etwa in Davids Alter sein mochte, schien sich von dem Grauhaarigen nicht einschüchtern lassen zu wollen. Warum sollte er auch, nur aus Respekt vor dem Alter, mit seiner Meinung hinter den Berg halten? Mochte zu Zeiten Homers auch noch gegolten haben, dass die Alten zugleich auch die Weisen waren, so hatten sich die Zeiten doch grundlegend geändert. Respekt sollte dem entgegengebracht werden, der ihn verdiente und nicht automatisch dem zuteil werden, dessen Haut sich in Falten gelegt hatte.
Von seinem Standort aus konnte David ein Stück in die Gasse hineinschauen, die er vor einer knappen halben Stunde hoch-gegangen war. Die weißen Wände wurden angestrahlt von der nun schon tief stehenden Sonne. Wer auch immer die Gasse entlangkam, er wurde schon vorher von seinem Schatten angekündigt. Allzu viel tat sich allerdings um diese Tageszeit nicht. Die meisten Einheimischen, wenn sie nicht unmittelbar mit dem Tourismus zu tun hatten, hielten sich in ihren Wohnungen auf und mieden die Hitze. Die Gäste aus dem Ausland lagen derweil in der prallen Sonne, um in weniger als zwei Wochen so auszusehen wie jene Schwarzafrikaner, denen sie sonst eher aus dem Weg gingen oder allenfalls hoch erhobenen Hauptes begegneten.
„Darf ich mich zu dir setzen?“
David war so fasziniert von den Schattenspielen auf der Hauswand, beispielsweise von dem Mopedfahrer, der sich mit seinem knatternden Vehikel vom Miniformat allmählich zur stattlichen Größe einer Kinoleinwand entwickelte, bevor er um die Ecke bog und seinen Doppelgänger auslöschte, dass er mit einem „Ja, natürlich“ antwortete, ohne auch nur aufgeschaut zu haben. Als er den Neuankömmling endlich in Augenschein nahm, begann seine Nasenspitze zu zucken, bei ihm stets auffallendes Indiz dafür, dass er aufgeregt war. Vor ihm saß derselbe Mann, den er zuvor schon einige Male am Strand gesehen hatte. Zwei dieser Begegnungen waren ihm dabei in besonderer Erinnerung geblieben. Die erste hatte vor zwei Tagen stattgefunden, als er allein unter dem Sonnenschirm lag, weil Marianne unterwegs war, um sich ein Schokoladeneis mit Krokantstücken zu besorgen. Sie stopfte einfach zu oft Dinge in sich hinein, die ihrer Figur abträglich waren und
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