Mariannes Traenen
bedeckt von einer großen Tätowierung. Eine Frau, kniend in der japanischen Art, vor einem Mann in einer prächtigen Rüstung, welcher sein Schwert mit beiden Händen hoch erhoben grimmig über sie hinweg blickte. Die Frau senkte den Blick vor diesem bedrohlich wirkenden Herrn. Der kostbare Kimono lag geöffnet um die Hüften drapiert, ihr Oberkörper war entblößt, der Rücken tätowiert. Ein Spiegel im Spiegel. Rika war ein Meisterwerk. Allein der Preis, um den diese Tätowierung gefertigt worden war, mußte ein Vermögen gewesen sein. Jeder Mann, dem Rika ihren Rücken zeigen würde, müßte sofort verstehen, daß dies ein Bild ihrer selbst war. Sie würde nie mehr einem Mann anders gehören können, als auf diese Weise. Ich strich ehrfürchtig mit den Fingerspitzen über dieses lebende Kunstwerk und Rika erschauerte. Auf ihrer seidenen Haut glänzten winzige Schweißperlen.
Ich nahm das Halsband. Ein fein gearbeitetes Teil, ohne Zweifel ein Einzelstück. Das dunkle, fast schwarze Leder war dick, aber weich und geschmeidig, mit einem eingeprägten Drachenmuster. An den Enden waren die Hälften eines Schlosses angebracht, die nahtlos zu verbinden waren. Vorne hatte das Halsband einen eingelassenen Ring. Das Band war nicht mehr als vielleicht zwei Finger breit. Ohne ein Wort zu sagen senkte Rika kaum merklich den Kopf etwas tiefer, um mir ihren Nacken darzubieten. Sie erschauerte zum zweiten Mal, als ich ihr das Halsband umlegte und den Verschluß ineinander schob. Ihr Hals war schmal und wirkte zerbrechlich. Zum ersten Mal legte ich meine Hand um ihn und begriff, daß ich das schon lange hatte tun wollen. Das Halsband paßte genau. Es mußte maßgefertigt sein. Dies war kein billiges Hundehalsband aus dem Supermarkt. Es war ein von erfahrener Hand gefertigtes Kunstwerk, hergestellt ausschließlich für den zarten Hals einer hingebungsvollen Frau und nur dem einzigen Zweck bestimmt, diese Frau der Hand und dem Willen ihres Herrschers auszuliefern...
Si vive bene! (Trilogie „Niemandsland“)
Fast acht Jahre sind vergangen, seit Andreas aus Japan nach Deutschland zurückgekehrt ist. Er ist mittlerweile alleinerziehender Vater seiner sechsjährigen Tochter Eva. Nach dem plötzlichen Krebstod seiner Frau Nathalie hat er sich vom Leben sehr weit zurückgezogen und sich auch beruflich zurückgenommen. Nur noch zu wenigen Freunden pflegt er den Kontakt. Seine Bedürfnisse und Neigungen hat er ebenfalls vollkommen zurückgestellt, um vor allem für sein Kind da zu sein. Als ein langjähriger Freund ihn bittet, doch unbedingt mit ihm eine Woche nach Italien zu fahren, um dort im geneigten, kleinen Kreis ein paar besondere Tage zu verbringen, willigt er nur widerstrebend ein.
Die Reise läßt sich nicht gut an. Andreas wird in der norditalienischen Landschaft mit schmerzhaften Erinnerungen konfrontiert, denen er sich kaum entziehen kann. Und auch das als frivol und ausgelassen gedachte Treffen, zu dem er ohnehin mit gemischten Gefühlen angereist war, verläuft zunächst anders als erwartet. Doch im Laufe der Tage, die er in zunehmend vertrauter Runde verbringt, begreift Andreas, daß man die Vergangenheit nicht zurückholen kann - und daß man gerade deshalb das Glück manchmal genau da findet, wo man es am wenigsten erwartet.
Auf seiner Rückreise nimmt er zwar viele offene Fragen mit sich, doch zugleich auch neue Zuversicht. Seine Zweifel sind der Gewissheit gewichen, daß das Leben schön ist, daß es sich lohnt, darauf zu vertrauen, und daß sich auf offene Fragen zur rechten Zeit schon Antworten finden werden. Eine Frau begleitet ihn, die vielleicht seine Gefährtin werden mag. Und er hat in Italien einen Freund gefunden, dessen Einfluß auf sein Leben noch weit größer sein würde, als er es sich zu diesem Zeitpunk vorstellen kann.
***
...Gianni tippte ihr erneut mit der Gerte unters Kinn. „Guarda qui!“ befahl er, worauf sie endlich den Blick hob und Andreas zum zweiten Mal an diesem Tag direkt ansah. Erneut hatte er den Eindruck, als lägen in ihren tiefbraunen, glänzenden Augen alle Rätsel und Geheimnisse dieser Welt verborgen. Er glaubte, Verlangen zu sehen, eine Frage, gleichzeitig Stolz, Hochmut, sogar Verachtung. Aber auch das Versprechen unbedingten Gehorsams für den Mann, der... der was? Die Frage durchfuhr ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Was mußte der Herr ihrer Wahl mitbringen? Denn daß es ihre Wahl sein würde, daran ließen diese Augen nicht den geringsten Zweifel. Wie müßte er
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