Mariannes Traenen
scho‘!“, stöhnte Lukas und fläzte sich wieder auf den Stuhl, während Marianne sich auf ihre allmorgendliche Runde machte. Normalerweise würde sie diese mit einem Blick in den Pferdestall und in das Schlafhaus des Saisonpersonals beenden. Aber die Rösser waren schon im Winterquartier, unten in Nieder-Tannau, wo sie leichter zu versorgen waren. Der Stall war längst leer und von Alois, dem alten Stallknecht, blitzblank gefegt worden, bevor er sich in den Winterurlaub verabschiedet hatte. Bis April würde er nur alle zwei, drei Wochen einmal aus dem Tal hochkommen, um nach dem Rechten zu schauen, das Lederzeug gefettet zu halten und hier und da ein paar kleinere Reparaturen zu erledigen. Schweigend, ohne zu sagen, wann er kam und wann er ging; das war seine Art. Die ruhige Zeit brach an. Sobald die wenigen Gäste zu ihren Morgenspaziergängen aufgebrochen wären, würde das Haus fast leer sein. Und in zwei Wochen würden sie dann ganz schließen.
Sie begrüßte Elsa, eine große, hagere Frau mit hartem Gesicht und harten Händen. Elsa gehörte wie Alois zum lebenden Inventar des Hauses. Die Touristen und ihre Art waren den beiden zwar zutiefst suspekt. Aber sie hielten treu zu Marianne und waren auch bei ihr geblieben, nachdem der junge Herr Max vor drei Jahren so tragisch ums Leben gekommen war. Wortkarg und arbeitsam hatten sie in der schlimmen Zeit Restaurant und Reitstall am Laufen gehalten. Selbst der alte Herr Josef war wiedergekommen, trotzdem er längst Pensionist war, und hatte Rezeption und Zimmerbetrieb geführt. Weil die Frau Marianne nach dem schweren Verlust doch wochenlang wie gelähmt gewesen war. Vollkommen hilflos war sie vor dem großen Betrieb gestanden und hatte in ihrem Schmerz nicht mehr aus noch ein gewußt. Keine einzige Entscheidung hatte sie treffen mögen ohne ihren Max. Und die junge Frau Kathrin war ihr erst recht keine große Hilfe gewesen mit ihren damals gerade mal 19 Jahren. Kathrin war ja auch getroffen, und das gleich doppelt: Mit dem Papa hatte sie bei dem Autounfall zugleich auch den Schwiegervater verloren, den Vater vom jungen Herrn Konrad. Und das so kurz nach der Hochzeit! Keine drei Wochen war es her gewesen, daß sie die junge Frau Gruberin geworden war. Eine Hochzeit in Weiß an einem strahlenden Sommertag, und alle waren sie so glücklich gewesen. Die Brauteltern kannten sich seit sie alle vier gemeinsam die Schule besucht hatten. Wobei Marianne allerdings die mit Abstand jüngste der vier gewesen war, eingeschult als die anderen schon beinahe ihren Abschluß machten. Nun hatten ihre Kinder geheiratet. Sie würden einmal die beiden Hotelbetriebe übernehmen und zusammenführen.
Und dann war der entsetzliche Unfall passiert. Mitten in der Nacht waren die beiden Männer auf dem Heimweg von Nieder-Tannau vom Weg abgekommen und in die Schlucht gestürzt. Das Auto hatte es regelrecht zerrissen, und die beiden Männer hatte man erst nach längerem Suchen in der Böschung gefunden. Beide waren sie an den Felsen zerschmettert worden. Man hatte noch nicht einmal mehr feststellen können, wer von den beiden den Wagen gelenkt hatte, so grausig hatte es da ausgeschaut. Es war eine schlimme Zeit gewesen. Da war es schon wichtig gewesen, daß die noch so junge Witwe sich auf ihr erfahrenes Personal hatte verlassen können.
Marianne fand Küche und Frühstücksbuffet wie immer in tadellosem Zustand. Jede noch so leise Kritik hätte Elsa auch zutiefst getroffen, und dagegen gab es in ihrer Welt nur ein Mittel: Fleiß und ein strenges Regiment mit den Küchenmädchen. Alles war pikobello gerichtet. Nur die Saftpresse am Buffet hatte Elsa nicht bestückt, sondern abgedeckt gelassen. Sie mochte das neumodische Ding eh nicht, weil es widerliche Geräusche machte, ab und zu klemmte und dann laut piepste. Elsa empfand es als Beleidigung, sich von einer Maschine durch Pfeifen rufen zu lassen, sie sei ja kein Hund. Und eine Karaffe mit gutem Orangensaft aus der Tüte sei gut genug und mache viel weniger Arbeit. Die Gäste schienen damit zufrieden. Elsa war effizient, das liebten die Deutschen Besucher ganz besonders. Selbst das Paar aus Norddeutschland hatte das Malheur mit dem Fernsehprogramm längst verziehen, und beide genossen den vorzüglichen, österreichischen Kaffee, den ihnen Elsa gebracht hatte. Obwohl sie Marianne bei ihrer Runde und dem kurzen Gespräch lachend darauf hinwiesen, daß die Verständigung mit der Frau Elsa immer etwas schwierig sei. Denn die weigerte sich
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